Daniela Ahrens: Grenzen der Enträumlichung. Weltstädte, Cyberspace und transnationale Räume in der globalisierten Moderne. Opladen 2001. 216 S.

Daniela Ahrens erläutert die These, dass Raumdifferenzen trotz vielfältiger Prozesse der Grenzüberschreitungen, der transnationalen Verflechtungen, der wachsenden "Enträumlichung" sozialer Beziehungen und der Verbreitung globaler elektronischer Vernetzungstechniken keineswegs bedeutungslos werden. Sie knüpft an Giddens' Raumzeit- und Gesellschaftsanalyse an und legt der Soziologie nahe, den "Wiedereintritt des Raumes" in ihr Zentrum zuzulassen, weil sich im Unterschied zum klassischen Modernisierungsprozess der Enträumlichung in der heutigen Spätmoderne ein "spatial turn" abspielt, der neuartige, räumlich bestimmte Vergesellschaftungs- und Vergemeinschaftungsprozesse enthält.

Regionalisierung wird als sozialer Vorgang konzipiert, der Raum als Ordnungsdimension definiert. Globalisierung sieht die Autorin als Motiv einer Abkehr von der Container-Theorie, hin zu transnationalen Räumen und Netzwerken. In Auseinandersetzung mit Castells' Ansatz der Verflüssigung des Raumes, als Raum der Ströme, betont sie, dass es durch die globale Streuung von Wissen, Kapital und Information zwar zu verstärkter Flexibilität kommt, aber noch massiver zu neuen Formen der Verräumlichung, als veränderte Raumstruktur, die sich nicht grundsätzlich auflöst.
Der spatial turn wird als kulturtheoretisch zu erfassender Aspekt der Globalisierung verstanden, der multiple Lokalitäten ausformt. Ergebnis dieser Tendenzen ist dann nicht die vielbeschworene McDonaldisierung und Homogenisierung der Welt, sondern ein pluraler und heteronomer Globus, auf dem Vielfalt und Imagination den Ton angeben.
Auch die technosozialen Zusatzräume des Schlusskapitels belegen demnach, dass eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Authentizitätsebenen entsteht, in der neue Muster auf der Basis vergrößerter Herstellbarkeit, Wandelbarkeit und Wählbarkeit von Räumen zu finden sind.
Die Studie endet mit der knappen Darstellung eines relationalen Raumverständnisses, in dem Raum sozio-kulturell bestimmt und kontextual-situativ gedacht wird. Der Raumbegriff hat keinen materialen Gegenstand, sein Sinn liegt im "In-Beziehung-Setzen" verschiedener Dinge. Diese Soziologie des Raumes bewegt sich um die Spannungsfelder global/lokal und real/virtuell, als Konzeption vielfältiger Geographien.
Methodologisch hält sich die Untersuchung weitgehend an ein postmodernes Schema, das sich durchgängig in Dualismen verfängt und ständig neue Nullsummenspiele produziert. Enträumlichung und Verräumlichung, Globalisierung und Lokalisierung, Verflüssigung und Verdichtung des Raumes, Raumindifferenz und neue Raumdifferenzen, nahe Ferne und ferne Nähe - alle diese Tendenzpaare werden beschrieben, sind permanent wirksam und bleiben doch seltsam blass, weil ihre reale Dialektik nicht zum Vorschein kommen will. Alles erscheint offen, und so soll es bleiben; für eine wissenschaftliche Zielsetzung etwas zu viel Bescheidenheit.
Relationismus ist immer auch Relativismus, d. h. man hütet sich davor, Kritik zu äußern - Kritik aber ist notwendig und in einem dezidierten Ausmaß absolut, denn sie legt externe Kriterien an, setzt einen kritischen "point of view" voraus, den die Autorin leider nicht einnehmen mag. Stattdessen verzieht sich sich nach einem ganz kurzen Ausflug in ein paar politökonomische Sentenzen von Harvey und Sassen hinter zwei Vorhänge, die beständig ineinander geschoben werden und jegliche Ansätze von Kritik unmöglich machen: die Umgehung der komplexen soziologischen Analyse zugunsten einer flachen Kulturtheorie und die Vermeidung einer gegenständlichen Gesellschaftsanalyse mit Hilfe einer breiten und alles überlagernden Reflexion des Raumbegriffs.
Dabei gerät sie häufig in Konflikt mit ihren eigenen Zielvorgaben, z. B. den Raum als soziales Phänomen zu begreifen. Ernst genommen würde das doch heißen, die Bedingungen zu analysieren, unter denen Räume produziert, angeeignet und erfahren werden; in einer kapitalistischen Gesellschaft sind Räume - ob virtuell, materiell oder beides - kapitalistisch geprägte Räume und unterliegen wie alle Sphären eines solchen Gesellschaftssystems der Dialektik der Klassen und sozialen Gruppierungen, die als Subjekte oder Objekte unterschiedlich bzw. antagonistisch agieren. Raumzeitpfade sind nicht nur als formalistisch und mit constraints beladen zu sehen, sondern als schichten- und klassenspezifische Muster mit erheblichen Gegensätzen, in denen sich scharfe Kontraste von Macht, Einkommen und anderen Verfügungsbereichen ausdrücken. Was hilft eine Definition von Raum als Ordnungsdimension, wenn die tatsächliche Ordnung einer Gesellschaft von handfesten materiellen Faktoren wie Herrschaftsposition, Geld, Einfluss und Bildung bestimmt wird? Was soll die überaus naive These, dass die Menschen ihre eigene Geographie machen, wenn die wesentlichen raumstrukturierenden Lokalisationen von Unternehmensleitungen und politischen Eliten gemacht werden, zu denen sich die einzelne Person nur noch reagierend, aber nicht gestaltend verhalten kann? Wie blauäugig ist eine Sichtweise von Globalisierung, die deren kulturelle Züge unabhängig von der politischen Ökonomie (und auch völlig ohne politische Ökologie) sehen und sie als Pluralisierung und Heterogenität definieren will?
Besteht heute irgendwo jenes Regime der Differenz, das Marx als Endstadium des Kommunismus für eine ferne Zukunft gedacht hatte? Sind die ökonomischen und kulturellen Gegensätze zwischen den "ersten" und den "dritten" Welten der Erde Ausdruck einer pluralen und heterogenen Vielfalt? Werden transnationale Räume von Migranten bestimmt oder von den Hauptagierenden der Globalisierung (die nach wie vor eine Vielzahl der Phänomene umgreift, die man vor nicht allzu langer Zeit mit anderen Begriffen belegt hat wie z. B. Kolonialismus und Imperialismus; vgl. Harvey 2000), den transnationalen Konzernen, den wirklichen global players und ihren kulturellen und politischen Satrapen?
Schade, dass die empirischen Wirklichkeit durch den Mantel der postmodernen Kultur und die elaborierte formale Raumdiskussion so versteckt wird. Offenbar gibt es weder eine kapitalistische Kultur noch relevante Disparitäten in Raum und Gesellschaft - denn die postmoderne Umschreibung für diese Verhältnisse tritt immer wieder mit dem selben Vokabular auf: Diversifizierung, Heterogenisierung, Multiplität, Vielörtlichkeit. Damit wird einerseits eine Realität konstruiert, die bis jetzt nicht existiert, obwohl sie den Interessen eines erfüllten und gleichberechtigten Lebens der Menschheit unbestritten entsprechen würde. Zugleich bilden diese Termini im Kontext bestehender Sachverhalte eine zynisch verzerrte Abbildung der heterogensten aller Kulturen, der kapitalistischen (Eagleton 2001; Sennett 1998), die auch die einheitlichste Kultur aller Zeiten ist, denn einzigesAntriebsmotiv sind die Privilegien und Profite ihrer herrschenden Agenturen und Personen, die sich am Markt über die alles durchsetzende Ästhetik der Ware realisieren.
Auch die abschließende Darstellung der neuen Raumerfahrungen und -elemente im Bereich der Computernetze geht von einer spielerisch-pluralen Einheit von Welt aus, die so nicht besteht. Der Cyberspace ist Folge und Symbol der Zerrissenheit einer Welt, in der nicht nur die Nutzungsmöglichkeiten des Mediums höchst disparitär verteilt sind. Er ist auch eine Realität, in der Entterritorialisierungen stattfinden, viel wesentlicher aber ist ein virtuell erscheinender, tatsächlich aber sehr materieller Raumprozess, die Kapitaltransferierung über den Globus hinweg, ein Kernelement der Macht des internationalen Finanzkapitals, das dadurch die Geldzeit an die Spitze aller Zeitbestimmungen gestellt hat (Candeias 1999).
Die Studie von Daniela Ahrens streift viele Themen, die eine neue Soziologie des Raums aufzunehmen hat. Leider wurde die Chance vertan, politische Ökonomie und Kulturtheorie über kontext- und situationsbezogene Fragen hinaus zusammenzuführen und einen kritischen Raumbegriff mit Hilfe einer angemessenen Gesellschaftsanalyse zu begründen. Die Verweigerung des Blicks auf die Tiefen der Räume zugunsten oberflächlicher Dualismen und eines formalen spatialism lässt aus der Perspektive kritischer Sozialwissenschaft nur ein Gesamtfazit zu: "much ado about nothing".
Literatur
Mario Candeias 1999: Raum und Zeit in der Gesellschaft. In: Zeitschrift Marxistische Erneuerung 39. S. 174-190.
Terry Eagleton 2001: Was ist Kultur? München.
David Harvey 2000: Spaces of Hope. Edinburgh.
Richard Sennett 1998: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Darmstadt.
Autor: Heinz Arnold

Quelle: geographische revue, 4. Jahrgang, 2002, Heft 2, S. 71-74