Drucken
Kategorie: Rezensionen

Thomas Braun: Analyse, Planung und Steuerung im Gesundheitswesen. Geographische Möglichkeiten und Perspektiven am Beispiel von Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung. Augustin 2002 (Bonner Geographische Abhandlungen 108). 147 S.

Bereits 1984 berichtete J. ANTHONY HELLEN, dass in Großbritannien 7% der Absolventen eines Geographiestudiums ihre erste Anstellung im Gesundheitssektor fanden. In Deutschland hingegen sind auch fast 20 Jahre später in Einrichtungen des Gesundheitswesens tätige Geographen eine Rarität. Um so wichtiger ist es, Möglichkeiten und Perspek-
tiven geographischer Arbeitsweisen und Methoden im deutschen Gesundheitsbereich zu untersuchen. THOMAS BRAUN hat dies am Beispiel von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Fragen zur Analyse, Planung und Steuerung von Ressourcen dieses Wirtschaftszweiges getan.

Die Arbeit ist in sechs Hauptkapitel sowie ein abschließendes Fazit übersichtlich gegliedert. In einer knappen Einführung werden steuerungsrelevante Fragestellungen der Gesundheitsversorgung und geographische Forschungsansätze vorgestellt. Das Ziel der Arbeit ist es, durch die exemplarische Anwendung geographischer Methoden einen wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag zum bestehenden Informationsdefizit der GKV im deutschen Gesundheitswesen zu leisten, um zur langfristigen Finanzierbarkeit durch Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven und zur Public Health-orientierten Verbesserung der Gesundheitsversorgung (Identifikation von Risikogruppen, bedarfsgerechte Versorgung, Prävention, Planung) beizutragen.
Im folgenden Kapitel werden die Hauptcharakteristika des deutschen Systems der Gesundheitsversorgung erläutert. Neuere Entwicklungen zur Anwendung geographischer Arbeitsweisen bei gesundheitsbezogenen Fragestellungen werden in Kapitel 3 dargestellt. Kapitel 4 bildet den empirischen Teil der Arbeit und umfasst die exemplarische Bearbeitung und Analyse von GKV-Versicherten-Datensätzen des stationären Sektors für die Region Kassel. Als Grundlagen der weitergehenden Analyse werden zunächst Grunddaten zur AOK Hessen, zur Gesundheitsinfrastruktur, zur Soziodemographie, verwendete Geodaten und Software sowie Untersuchungsraum, AOK-Marktanteile und Versichertenstruktur vorgestellt. Alter, Diagnose und räumliche Verteilung der stationären Behandlungsfälle werden herausgehoben erläutert. In den eigentlich analytischen Kapiteln werden die Einflussfaktoren Alter, gesundheitssystemimmanente Größen und Sozialstruktur des Wohnumfeldes hinterfragt, kostenintensive Räume identifiziert und stationäre Fallhäufigkeiten berechnet. Die Ergebnisse werden jeweils kartographisch sehr gut aufbereitet und in einem Zwischenfazit zu den eingangs formulierten Forschungsfragen in Beziehung gesetzt.
Die abschließende Diskussion ist insgesamt recht knapp geraten und stellt die in der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse zur Identifikation von Risikogruppen, zur Inanspruchnahme und Bedarfsgerechtigkeit der Gesundheitsversorgung, zu Prävention und Planung in den Kontext der wissenschaftlichen Diskussion. Insbesondere internationale Erfahrungen werden recht kurz behandelt.
Die vorgelegten Resultate berechtigen zu dem Fazit, dass durch die Möglichkeit der Geokodierung vorhandene GKV-Daten raumbezogen verarbeitet werden können und dadurch viele neue - und ertragreiche - Möglichkeiten der Datenanalyse entstehen. Insbesondere GIS werden bei der zukünftigen Bearbeitung von Problemen zur Ressourcenallokation, zur operativen Ausrichtung von GKV, zur Einführung neuer Versorgungskonzepte und zum case management bedeutende Potentiale eingeräumt.
THOMAS BRAUN leistet mit seiner Dissertation einen insgesamt überzeugenden Beitrag zur Bewährung geographischer Methoden und qualifizierter GIS-Nutzung im Gesundheitssektor. Dies erscheint dringend notwendig, wenn man etwa an die in Teilen haarsträubende Ordnung der kassenärztlichen Versorgung durch die Organe der ärztlichen Selbstverwaltung denkt, die statt rational-räumlicher Bedarfsermittlung auf Festschreibung bestehender Versorgungsstrukturen setzte.    
Autor: Thomas Kistemann

Quelle: Erdkunde, 57. Jahrgang, 2003, Heft 2, S. 151-152