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Kategorie: Rezensionen

Frank Moulaert (in Kooperation mit P. Delladetsima u. a.): Globalization and Integrated Area Development in European Cities. Oxford 2000 (Oxford Geographical and Environmental Studies). 159 S.

Dieses Buch von Frank Moulaert hat eine klare politische Agenda. Es schaut auf die Schattenseiten der Globalisierung mit skeptischem Blick und sucht mit der Lupe nach kleinteiligen Entwicklungschancen vor Ort, um auf lokaler Maßstabsebene Hoffnungsträger einer anderen, alternativen räumlichen Entwicklung zu identifizieren. Dies ist einerseits ein erfreuliches und wichtiges Unterfangen. Schließlich wird entgegen dem manchmal überbordenden Globalisierungsdiskurs, der auch Ohnmachtsgefühle erzeugen kann, aktiv nach Gestaltungsmöglichkeiten gesucht. Innovative soziale Politiken sollen auf lokaler Maßstabsebene den vermeintlichen ökonomischen Sachzwängen des Weltmarktes entgegengesetzt werden. Gleichzeitig geschieht dies jedoch auf eine etwas engstirnige Weise. Die Ideologie des Autors behindert das Denken des Lesers. Wissenschaft und Politik sind in diesem Buch nicht in einem befruchtenden, arbeitsteiligen Verhältnis fairer Partnerschaft miteinander verbunden. Vielmehr entsteht ein ermüdendes Herr-Knecht-Verhältnis. Ermüdend für Leserin und Leser, weil die politischen Vorgaben des Autors an vielen Stellen des Textes die vorgeblich wissenschaftliche Argumentation so erdrückend leiten, daß ein wacher Verstand von dem konstanten, verbalen Beschuß mit einer Batterie politischer Glaubenssätze gedämpft wird. Auch sprachlich begibt sich der Autor auf den Pfad einer einseitigen Analyse (die kritisch sein soll), die zu stark von der Rhetorik der 1968er Generation lebt.
Wie funktioniert dieser ideologische Diskurs von Frank Moulaert? Welche argumentativen Strategien werden verwendet? Zunächst bekennen sich die Autoren (die in der Tat im Plural zu nennen sind, weil es sich um insgesamt sieben Wissenschaftler handelt, die auf der Buchinnnenseite genannt werden, jedoch taucht erstaunlicherweise auf dem Cover nur ein Name auf) zu ihrem politischen Projekt frank und frei, Lösungsansätze für räumlich ungleiche Entwicklungen erarbeiten zu wollen. Gerechtigkeit ist der moralische Unterton des Buches. Neoliberale Ansätze in Politik und Wissenschaft werden dezidiert abgelehnt. Statt dessen wird eine endogene Entwicklungsstrategie bevorzugt, die die historischen und sozialkulturellen Besonderheiten von Städten und Regionen berücksichtigt. Wie kann man soziale Exklusion verhindern, mindern, lindern? Dies ist das zentrale Anliegen der Autoren. Um die Frage zu beantworten, wird konzeptionell auf den Ansatz der Regulationstheorie zurückgegriffen. Dieser wird klug rezipiert und auf seine regionalwissenschaftliche Tragfähigkeit hin durchleuchtet. Dieser Teil des Buches ist mit der erfreulichste Part, weil klar, stringent und überzeugend eine theoretische Position zunächst diskutiert und weiterentwickelt wird. Irritierend ist hierbei allein der Stand der verarbeiteten Literatur, der sich weitgehend auf die 1980er und wirklich frühen 1990er Jahre (i.e. 1990, 1991) bezieht. Empirisch wird eine komparative Strategie verfolgt. Anhand von sechs lokalen Fallstudien in ausgewählten Städten (darunter zwei deutsche) werden Wirkung und Erfolg unterschiedlicher lokaler Politiken eingeschätzt und bewertet. Dabei wird nicht der übliche Blick auf die zentrale Rolle großer Städte in der Globalisierung in den Vordergrund gerückt. Abseits der großen Metropolen wird nach den Gestaltungschancen und - wegen auch kleinerer und mittlerer Städte gefragt. Die besondere Rolle sozioökonomischer und sozialkultureller Voraussetzungen von Städten und deren Bedeutung für die lokale Entwicklung werden betont. Die hoffnungsvolle These wird vertreten: "The global economy leaves more space for local sociopolitical choices and creativity than globalization suggests" (Seite 9). Lokale Politikstrukturen sind - so die Auffassung des Autorenteams - auch in Zeiten der Globalisierung bedeutend.
Leider jedoch verlieren die Verfasser die wissenschaftliche Analyse zugunsten der politischen Zielerreichung mehrfach aus den Augen. Zunächst betonen sie die sozialen, politischen, ökonomischen und räumlichen Ungleichgewichte innerhalb von Globalisierungsprozessen. Der Kapital- und Güterhandel werde liberalisiert. Die Arbeitskräftemigration unterliege jedoch weiterhin strengen Regulierungen. Das Fehlen einer globalen politischen Steuerung führe zu einem politischen Kontrollverlust gegenüber den wachsenden ökonomischen Reichweiten transnationaler Konzerne. Um nun Alternativen zum vermeintlich bösen, dominanten Globalisierungsprozeß zu identifizieren, versteigen sich die Autoren zum Teil in gewagte Thesen und werden argumentativ inkonsistent. Denn einerseits möchten sie aus politischen Motiven heraus die These von der Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft dekonstruieren, um gedanklichen Freiraum zu schaffen und politische alternative Handlungsstrategien zu entwickeln. Um dieses Ziel zu erreichen, argumentieren die Autoren, daß Globalisierung weder ein zwingender noch übermächtiger Prozeß sei. Andererseits jedoch (entgegen der Dekonstruktion von Globalisierung) machen sie die Globalisierung als real existierenden, bedrohlichen Prozeß verantwortlich für verstärkte soziale Polarisierungen in den Städten. Damit ist Globalisierung doppelt schuldig: zunächst als diskursives Täuschungsmanöver, als irreführende These, die Ohmacht produziere, obwohl doch Widerstand möglich wäre. Dann als realer ökonomischer Entwicklungstrend, der ursächlich für soziale Spaltungsprozesse verantwortlich zu machen ist. Ähnliche Widersprüche in der Argumentation der Buchautoren ließen sich an mehreren Stellen aufzeigen. Ich muß jedoch zugeben: es ist mir zu mühsam, sie alle hier nieder zu schreiben. Ebenso wie es mir mühsam war, sie in der vorgelegten Publikation zu lesen. Dieses Buch ist eben nicht nur ein intellektueller Text. Es ist noch viel mehr ein politisches Programm. Das aber möchte ich nicht rezensieren.
Die Autoren, die sich in diesem Text versammelt haben, scharen sich um ein politisches Projekt. Überzeugungen leiten die Gedanken. Ebenso merkwürdig wie die Autorenschaft, die im Cover die Monographie eines Autors suggeriert, tatsächlich aber, wie das Innenleben des Buches zeigt, das Kollaborationsprodukt von sieben Autoren ist, erscheint mir diese Kategorie Text als wissenschaftliche Studie. Der Reihe "Oxford Geographical and Environmental Studies", in der schon eine Vielzahl exzellenter Analysen publiziert wurde, ist zu der Veröffentlichung dieses Bandes aus meiner Sicht nicht zu gratulieren. Wissenschaft und Politik vertragen sich gut, wenn sie einander ergänzen. Politik und Wissenschaft behindern einander, wenn die Vorgaben aus dem einen Gebiet dem anderen Arbeitsbereich zum Korsett werden. Frank Moulaert hat sich mit seinen Co-Autoren in solch eine Zwangsjacke begeben, die zu lesen ich niemandem empfehle, der etwas über Globalisierung und europäische Städte lernen möchte. Die Lektüre kann aber jeden dazu anregen, eigenständig über den vielschichtigen Zusammenhang von Politik und Wissenschaft nachzudenken.
Autorin: Ilse Helbrecht  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 91. Jahrgang, 2003, Heft 1, Seite 52-53