Norbert Gestring, Herbert Glasauer, Christine Hannemann, Werner Petrowsky und Jörg Pohlan (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2002. Schwerpunkt: Die sichere Stadt. Opladen 2003. 221 S.

Das Thema "Sicherheit" genießt in der stadtpolitischen Debatte nicht erst seit Ronald Schill, der sich als Frontmann der Schillpartei bei der Hamburger Wahl im Herbst 2001 dieses Themas bediente und dabei einen Senkrechtstart hinlegte, höchste Aufmerksamkeit. Sicherheit und Kriminalität wird vielmehr seit mehr als 20 Jahren intensiv diskutiert - allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. Während in den 1980er Jahren in feministischen Planungsdiskussionen öffentlicher Raum als "Angstraum" aufgrund von männlicher Gewalt diskutiert wurde, ist das Thema "Sicherheit" und "öffentlicher Raum" zwischenzeitlich zu einem beliebten Wahlkampfthema in Städten mutiert.

Dies und die Vielzahl von politischen Maßnahmen in der Folge des Diskurses sind Anlass für die Herausgeber des "Jahrbuch StadtRegion 2002" sich mit diesem Thema wissenschaftlich auseinander zu setzen. Schwerpunkt des Jahresbuchs bilden Beiträge, die sich mit unterschiedlichem Fokus kritisch mit dem Thema "sichere Stadt" bzw. Kriminalitätsfurcht und (Un)Sicherheit im städtischen Raum auseinandersetzen. Neben vier Schwerpunktbeiträgen sind auch einzelne Beiträge in der Rubrik "Analysen und Kommentare" und "Dokumentation und Statistik" diesem Thema gewidmet. Insgesamt erhält man einen breiten und informativen Einblick in das Thema. Besonders die Verbindung von gesellschaftswissenschaftlichen und geographischen Analysen (Wehrheim, Nogala, Ruhne, Glasze) mit der Analyse eines empirischen Fallbeispiels (Veil) und einer Kritik der Datenerhebung im Feld der Kriminalitätserfassung (Petrowsky) ist gelungen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Beiträge zum Schwerpunktthema, obwohl es im Jahrbuch noch weitere Beiträge zu Themen wie Stadt und Innovation oder dem StadtRegionen-Monitoring auf Basis von Daten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung gibt.
Die vier Schwerpunktbeiträge setzen sich mit der Frage auseinander, ob verschiedene sicherheitsund kriminaltechnische Maßnahmen wie Videoüberwachung, bewachte Wohnkomplexe etc. eine Antwort auf ein zunehmendes Unsicherheitsgefühl in Städten sind bzw. in welchem gesellschaftlichen Kontext die Zunahme dieser Maßnahmen zu verorten ist. Nach Jan Wehrheim sind die aktuellen Diskussionen um (mangelnde) Sicherheit in Städten ein Ausdruck für eine Wiederkehr konservativer Großstadtkritik. Denn kollektive Unsicherheitsgefühle und subjektive Bedrohungsszenarien hängen dem Autor zufolge nicht mit der Entwicklung von Kriminalität zusammen, sondern mit sozialen Umbrüchen, die beeinflussen, wie das Thema (Un)Sicherheit in Städten diskutiert wird. In Zeiten des Umbruchs gewännen konservative Großstadtdiskussionen, die gegen die Ambivalenz des Städtischen, d.h. der Heterogenität und Anonymität in Städten, gerichtet sind, an Bedeutung. Nach dem Autor drückt sich in den Diskussionen der Wunsch aus, sich gegen das Fremde, Unbekannte und Unkalkulierbare abzuschotten, um eine soziale Mittelschicht zu stabilisieren.
Das Argument, dass sich Unsicherheit im öffentlichen Raum nicht durch eine erhöhte Gefährdungslage begründen lässt, ist auch der Ausgangspunkt des Beitrages von Renate Ruhne. Sie hinterfragt die häufig getroffene Gleichsetzung von Angsträumen für Frauen mit dem städtischen öffentlichen Raum mit dem Hinweis, dass eine Diskrepanz festzustellen sei zwischen (Un)Sicherheitsgefühlen und den tatsächlichen Gefahren im öffentlichen und privaten Raum. Der größte Teil der Gewalt gegen Frauen finde im sozialen Nahbereich von Familie, Verwandtschaft und Nachbarschaft und nicht im öffentlichen Raum statt. (Un)Sicherheit ist demzufolge weniger ein Ergebnis einer objektiven Gefahrenlage als das Resultat eines sozialen Prozesses des Herstellens "einer Fiktion" von gefährlichen öffentlichen Räumen. An diese Argumentation schließt Detlef Nogala an, der sich mit den Verheissungen einer sicheren Stadt durch Videoüberwachung auseinandersetzt. Denn in Einklang mit den Argumenten der beiden anderen Autoren sieht Nogala in einer Videoüberwachung des öffentlichen Raums keinen Ansatz zur Bewältigung der Kriminalitätsangst in Städten, obwohl Videoüberwachung gegenwärtig als Allheilmittel gegen Unsicherheitsgefühle in der Stadt propagiert wird. Nogala argumentiert, dass es bisher keine umfassende empirische Untersuchung über die Wirksamkeit und Geeignetheit von Videoüberwachung gibt. Vielmehr verhindere Videoüberwachung nicht Devianz, sondern unterstütze die räumliche Verlagerung von Kriminalität und "abweichendem Verhalten". Insgesamt trage Videoüberwachung dazu bei, dass sich das Anzeigeverhalten und Erhebungsvariablen ändern, indem nicht nur kriminelles Verhalten, sondern auch als abweichend beurteiltes Verhalten negativ sanktioniert wird.
Eine andere Art der Bewältigung von Unsicherheitsgefühlen und Kriminalitätsfurcht diskutiert Georg Glasze in seinem Beitrag. Er setzt sich mit der Zunahme von bewachten Wohnkomplexen in verschiedenen Teilen der Welt auseinander (USA, Libanon und Deutschland). Nach Glasze ist die Zunahme dieser Wohnform ein Ausdruck für eine Substitution lokalstaatlicher Versorgung und Regulierung durch privatwirtschaftliche Organisationen. Sicherheit als auch die sichere Versorgung mit Gütern wie Energie und Wasser (gilt v.a. für den Libanon) werden zu privatwirtschaftlich erbrachten Dienstleistungen und damit aus dem Kontrollbereich der öffentlichen Daseinsfürsorge entzogen. Er weist damit auf einen interessanten Aspekt der Sicherheitsdiskussion hin, nämlich auf die Veränderung des Staates, die den Hintergrund für eine mögliche Durchsetzung von Partikularnormen und eine tendenzielle Ersetzung öffentlicher Kommunen als Entscheidungsgewalt darstellt. Diese anregenden Themenbeiträge werden abgerundet durch verschiedene weitere Beiträge. Nennenswert ist hierbei der Beitrag von Katja Veil, die sich mit Videoüberwachung als einer Sicherheitsstrategie im innerstädtischen Raum von Coventry auseinandersetzt. Sie macht deutlich, dass die Videoüberwachung auf die kommerziellen Interessen des Einzelhandels zurückzuführen ist und dieser definiert, was unter abweichendem Verhalten zu verstehen ist. Ein Problem ist allenfalls, dass Veil mit der impliziten Festlegung des innerstädtischen Raums als Angstraum dem unterliegt, was von den meisten vorherigen Autoren als eine Konstruktion bzw. Fiktion bezeichnet wird.
Ein weiterer interessanter Beitrag ist der von Werner Petrowsky zur "Polizeilichen Kriminalitätsstatistik" (PKS). Da bei dem Begründungszusammenhang von öffentlichem Raum und Kriminalität häufig mit der PKS argumentiert wird, setzt er sich mit der Konstruktion dieser amtlichen Stati stik auseinander. Er legt überzeugend dar, dass die PKS vor allem ein Tätigkeitsnachweis polizeilicher Kriminalitätskontrolle und keinesfalls ein Anzeiger der Entwicklung von Kriminalität ist. Insgesamt ist die Zusammenstellung der Beiträge gelungen, da sie zur Diskussion anregen. So stellt sich z.B. die Frage, ob die Forderung von Ruhne, nämlich den Begriff (Un)Sicherheit mit dem des Risikos im Diskurs zu ersetzen, eine Lösung des Problems darstellt. Auch wenn man sich der grundlegenden Argumentation anschließt, dass es sich bei (Un)Sicherheitsgefühlen um soziale Konstruktionen handelt, ist doch aber sehr zweifelhaft, ob über den Austausch von Begriffen der öffentliche Raum nun positiv besetzt wird.
Autorin: Susanne Heeg  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 91. Jahrgang, 2003, Heft 1, Seite 55-57