Wolfgang Aschauer: Landeskunde als adressatenorientierte Form der Darstellung. Ein Plädoyer mit Teilen einer Landeskunde des Landesteils Schleswig. Flensburg 2001 (Forschungen zur deutschen Landeskunde 249). 296 S.

Das Thema dieser Habilitationsschrift ist so umfangreich, daß bereits im Titel eine Beschränkung auf "Teile" vorgenommen wird. Angesichts des schon jahrzehntelangen Diskurses über Sinn und Unsinn von Landeskunden und der entsprechenden Menge an Literatur erscheint dies verständlich. Die Aufarbeitung des Diskussionsstandes und seiner Würdigung nehmen die erste Hälfte des Buches ein. Die zweite Hälfte liefert einen Versuch, am Beispiel des Landesteils Schleswig den alten Topos "Landeskunde" mit modernen Analyse- und Darstellungsmethoden anzureichern.

Aschauer beginnt mit einer Darstellung der Landes- und Landschaftskunde und einer ausführlichen Kritik daran. Sie endet mit dem überraschend konservativen Satz: "Nicht zuletzt der historische Erfolg der Landschaftskunde legt es nahe, deren zentrale Qualitäten - identifiziert wurden die Heuristik und die Pädagogik, verknüpft und integriert mittels Ästhetik - als Elemente auch aktueller und zukünftiger Landeskunde zu postulieren" (S. 26). Zwar folgt mit dem raumwissenschaftlichen und dem wahrnehmungsgeographischen Ansatz ein Exkurs zur Geographie um 1980, doch hat dies wenig Einfluß auf die Bewertung. Denn die Einbettung in die Postmoderne und die damit verbundene Aufwertung der Verpackung als solcher gestatten die erneute Hinwendung zur Landeskunde. So macht es wenig aus, daß Aschauers Diskussion über eine Theorie der Landeskunde zu dem Schluß kommt, eine solche gäbe es nicht. "Landeskunde ist keine Forschungsdisziplin, sondern eine Form der Darstellung. Sie basiert daher nicht auf einer Theorie der Forschung, sondern auf Darstellung." (S. 145) Dies kann als Schachzug verstanden werden, sich gegen die übliche Kritik zu immunisieren. An die Stelle des offenbar nicht herstellbaren Theoriebezuges tritt der Adressatenbezug. "Landeskunde als (adressatenbezogene, H.K.) Darstellung versteht sich damit als ästhetisches Projekt des user centred design" (S. 145). Für ältere Landeskundler, die nach den vernichtenden Kritikansätzen der ersten 100 Seiten den ganz großen Keulenschlag erwarten, klingt diese selbstgenügsame postmoderne Wiederfindung erfreulich konziliant: Die Berufung auf den Kunden, der genau diese offenbar qualitativ-theoretisch suboptimale Ware nachfragt, ist fast so alt wie die Landeskunde selbst.
Es bleibt unklar,
• warum die Adressatenorientierung den Theoriebezug quasi ersetzen kann oder soll,
• wie die Adressierung von den beiden anderen Komponenten der Raumabstraktion (Kombinatorik, Synchronisierung) chirurgisch so getrennt wird, daß das eine Drittel theoriefrei, die anderen beiden aber theoriehaltig bleiben,
• warum nur landeskundliche Geographie-Erzeugnisse sich durch Adressaten-Orientierung auszeichnen sollen, andere jedoch nicht.
Der zweite Teil, die Anwendung auf den Landesteil Schleswig, stellt einige Dinge klar: Das user centred design und die Adresse werden mit folgenden Worten auf den Boden des geographisch Machbaren zurückgeholt: "In der vorliegenden Arbeit wird als Adresse in erster Linie ein vermutetes Interesse an (Varianten; W. A.) landeskundlicher Information gesetzt, woraus sich ein Demonstrationscharakter ergibt, dessen Ziel nicht Vollständigkeit, sondern Diversität ist" (S. 147). Der Autor als Vermutender eines Publikumsinteresses, vereinfacht: der Adressat als Chiffre der Vermutungen des Landeskundlers - das erinnert nicht nur an Post-Modernes, sondern auch an Prä-Modernes. So kommt denn das übliche geographische Instrumentarium zum Zuge, allerdings umdefiniert als Set vier verschiedener "Bildtypen". Bildtyp 1 sind Verteilungsmuster, Bildtyp 2 eine Gemeindetypisierung mit Hilfe der Cluster-Analyse, Bildtyp 3 regionale Zugehörigkeiten und erst Bildtyp 4 liefert als Raumbilder und Images etwas, was auch ohne Theorie ein Bildtyp wäre. Dabei wird das einst so mächtige Schleswig auf 26,5% der Fläche des Landes Schleswig-Holstein und 16% seiner Einwohner reduziert. Der Altkreis Eckernförde wird vollständig aus der Analyse ausgeschlossen. Im Abschnitt über regionale Identität und Zugehörigkeit werden jene Amputation und die Schlei als Südostgrenze der Region nicht problematisiert. Ebenso wenig wird die Nordgrenze thematisiert, die es erst seit 80 Jahren gibt. In der Entwicklungsdiskussion fehlt der Rückbezug auf neuere Verkehrsinfrastruktur. Die Veränderungen in Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur, die der Autobahnbau während der siebziger und achtziger Jahre induziert hat, die damit gewonnene Achsenfunktion nach Nordeuropa und die dennoch gescheiterte Euroregion mit dem dänischen Nordschleswig werden weitgehend ausgeblendet.
Aschauers Studie macht implizit deutlich, wie stark sich die Produzentenseite landeskundlicher Information in den letzten 20 Jahren gewandelt hat. Geographen treten dabei selten in Erscheinung. Überwiegend kommen Zeitungsreichweiten, Tourismus- Broschüren, CD-ROMs und vor allem Internet- Präsentationen der Gebietskörperschaften zum Zuge. Allerdings wird eine der wichtigsten ausgelassen, nämlich "www.schleswig.de". In diesen Abschnitten wird klar, daß Aschauers Form der Landeskunde keinesfalls nur Darstellung, sondern Textkritik ist. Eines der Leitmotive des gesamten Buches ist somit die Schnittstelle von Wissenschafts- oder Text-Output und dessen möglicher Rezeption. Die verbal intendierte Theorielosigkeit wird somit (glücklicherweise) verlassen. Theoriebedarf besteht auch dort, wo entschieden wird, was regionalanalytisch relevant, und was irrelevant sein soll. Eindringlich dokumentiert die Studie, wie das, was früher einmal als die vom Geographen mitgebrachte Kunde von einem anderen Land war, heute zu einem Extrakt aus strukturell, inhaltlich und datenmäßig völlig verschiedenen Informationsquellen geworden ist. Die früher an der physiogeographischen Raumerkundung orientierte Methodik weicht immer stärker räumlich-kommunikationsbezogenen Instrumenten.
Unter diesen Aspekten muß Aschauer unbedingt zugestimmt werden, wenn er in seiner Zusammenfassung schreibt: "Der hier vorgebrachte Vorschlag einer Landeskunde ist in Theorie und Praxis ein Erst-Vorschlag, d. h. der erste Schritt innerhalb einer sich wechselseitig beeinflussenden Fortentwicklung der Landeskunde. Die Aufgabenstellung wäre daher verfehlt und die Adressatenbezogenheit gescheitert, bliebe das Projekt Landeskunde - hier: am Beispiel des Landesteils Schleswig - auf die vorgelegten Gedanken und dargestellten Raumbilder beschränkt." (S. 262)
Autor: Helmut Klüter  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 91. Jahrgang, 2003, Heft 3 u. 4, Seite 251-252