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Kategorie: Rezensionen

Michael Janoschka: Wohlstand hinter Mauern. Private Urbanisierungen in Buenos Aires. Wien 2002 (ISR-Forschungsberichte 28). 129 S.

Wenn eine Diplomarbeit (Geographie, Humboldt-Universität zu Berlin) in einer Reihe eines durchaus bekannten Forschungsinstituts für Stadt- und Regionalforschung erscheint (dessen Direktor, für Lateinamerika ausgewiesen, gleichzeitig Zweitgutachter bzw. -betreuer dieser Arbeit war), so darf man auf neue, herausragende und - in diesem Fall - für
Buenos Aires im Speziellen sowie für lateinamerikanische Metropolen im Generellen wichtige Ergebnisse hoffen.

Das trifft für zwei Bereiche fast uneingeschränkt zu: zum einen für die seit etwa 1990 enorm zugenommenen privaten, zugangsbeschränkten, eingezäunten / ummauerten und bewachten Wohnkomplexe (gated communities), die über 90% der städtebaulichen Expansion der 1990er Jahre von Groß-Buenos Aires ausmachen. Hier ist besonders die gute Typisierung dieser barrios privados hervorzuheben (nach Lage, Entstehung, Grundstücksgröße, Gemeinschaftseinrichtungen und Zielgruppen: von Ober- bis Mittelschichthaushalten), aber auch die Erfassung der innerstädtischen Apartmenthochhäuser (condominio vertical, für Oberschichthaushalte). Einen besonderen Schwerpunkt legt der Verfasser auf die Analyse des sich noch im Baustadiums befindlichen, für ca. 80.000 Einwohner ausgelegten Nordelta, ca. 50 km nordwestlich des Stadtzentrums, der ersten "privaten" Stadt im Großraum Buenos Aires. Nordelta ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Ohnmacht der öffentlichen Verwaltung bei der Planung, aber gerade auch bei der Versorgung derartiger Siedlungen mit technischer und sozialer Infrastruktur. Es stellt sich hier allerdings generell die Frage, ob public-private partnership bis zur privaten Regierung derartiger Großsiedlungen gehen sollte.
Zum anderen wird die Rolle von Gesetzgebung und Stadtplanung für die Entstehung der barrios privados detailliert dargelegt, was die Basis bietet für ein umfassenderes Verständnis der schon starken und noch weiter zunehmenden sozialräumigen Fragmentierung in Buenos Aires und anderen argentinischen Großstädten. Der Verfasser weist nach, dass viele dieser Viertel - aufgrund des Rückgangs öffentlicher Kontrollen (und der Zunahme der Korruption? - semilegal entstanden sind, ein Phänomen, was vordem fast überwiegend für randstädtische Unterschichtviertel zutraf.
Bei dieser, manchmal recht forsch formulierten Diplomarbeit ("... darüber hinaus ist das staatliche Bildungswesen in der Capital Federal verkommen", S. 95), ergeben sich jedoch inhaltlich wie auch methodisch gewichtige Kritikpunkte, die bei reiflichem Überlegen zu vermeiden gewesen wären. So ist es m. E. mehr als gewagt zu behaupten (und zudem sehr eurozentrisch gesehen), dass "die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der allgemeinen Demokratisierung und Industrialisierung errichtete Stadt ... nur eine Zwischenphase" darstellt zwischen "der geschlossenen und zugangsbeschränkten Stadt vor der industriellen Revolution" und den gated communities (S. 23). Fast allen Regeln der Empirischen Sozialforschung widerspricht die Aufstellung einer Typologie der (bis jetzt zugegebenermaßen geringen) Bewohner von Nordelta (Tab. 1) auf der Basis von 15 Interviews und einer Gruppendiskussion mit sechs Müttern von Kindern einer Privatschule in Nordelta. Das abschließend vorgestellte "neue Modell der lateinamerikanischen Großstadt" (Abb. 13) ist zwar als richtiger Weg in die richtige Richtung zu werten; kann es aber "allgemeine Gültigkeit" beanspruchen (S. 103)? Es ist in diesem Zusammenhang auch zu hinterfragen, ob die sozialräumliche Fragmentierung in den lateinamerikanischen Großstädten bereits allgemein wirklich so weit geht, dass man sie - auch modellhaft - auf "Inseln" des Reichtums, der Produktion, des Konsums sowie der Angst, Armut und Kriminalität reduzieren kann. Die Viertel des sozialen Wohnungsbaus und der "konsolidierten ehemaligen Hüttenviertel" der letzten Kategorie zuzuordnen, trifft zudem m. E. kaum zu.
Insgesamt trägt diese gut recherchierte Diplomarbeit jedoch erheblich zur Erweiterung unserer Kenntnisse über die gated communities, ihre Auswirkungen auf die sozialräumliche Fragmentierung und ihre derzeit führende Rolle bei der flächenmäßigen Expansion der Metropole Buenos Aires bei!
Autor: Günter Mertins

Quelle: Erdkunde, 57. Jahrgang, 2003, Heft 4, S. 331-332