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Kategorie: Rezensionen

Petra Overwien: Planungsbezogenes Konfliktmanagement unter Transformationsbedingungen. Ein empirischer Beitrag von Suburbanisierungstendenzen in der Stadtregion Berlin. Berlin 2003. 292 S.

Nachdem sich Berlin 1920 durch enorme Eingemeindungen arrondiert hatte, ruhte die Stadt-Umland-Frage wegen der politischen Ereignisse für sechs Jahrzehnte und es mussten die Stadt-Umland-Beziehungen nach 1990 völlig neu gestaltet werden. Während in Städten wie München oder Hamburg die Bevölkerungsanteile Stadt : Umland bei etwa 60:40 liegen, war das Verhältnis im Großraum Berlin etwa 80:20. Dem Drang ins Umland entsprach ein hohes Flächenangebot. Flankierend waren bis 1998 wirksame vereinigungsbedingte Steuervergünstigungen, ein mehrere Jahre währender rechtsfreier Raum, hervorgerufen durch die abrupte Umstellung der gesamten Verfassungs- und Rechtsordnung in den neuen Bundesländern und das Hinterherhinken der Landesplanung gegenüber dem frühzeitig geschaffenen Kommunalrecht in Brandenburg. Das bedeutet u.a., dass im ersten Nach-Wende-Jahrzehnt vorgenommene Weichenstellungen in den relativ spät erstellten Flächennutzungsplänen festgeschrieben werden müssen und langzeitliche Nachwirkungen haben.
Die Autorin hat diese Problematik in drei Teilen ihrer gründlich recherchierten und reichhaltig dokumentierten Dissertation aufgearbeitet: Der theoretische Teil (Kap. 2-5) befasst sich mit der Suburbanisations-, der Transformations- und der Konfliktforschung, in die sie sich unter Verwendung viel nicht-geographischen Materials erfreulich gut eingearbeitet hat. Die Kapitel 6-7 behandeln die Nach-Wende-Situation in Berlin und Brandenburg, wobei die gewählte Kapiteleinteilung eher störend ist und eine übersichtlichere chronologische Gesamtdarstellung vorteilhaft gewesen wäre (z. B. ist S. 106 vom Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum LEPeV die Rede, der nach langer Rückblende S. 163 erneut auftaucht). Die Kapitel 8-9 bieten zwei Fallstudien von Gemeinden auf der Westseite der Stadtregion.
Seeburg erscheint als besonders interessanter Fall: Eingekeilt zwischen dem (früheren West-) Berliner Bezirk Spandau und dem ehemaligen Truppenübungsplatz Döberitzer Heide, befand sich seine Gemarkung zu fast einem Drittel im Eigentum Berlins, geriet ein 12 ha großes Flurstück in die Hände eines Immobilienspekulanten, worin sogar ein brandenburgischer Minister involviert war, bildete sich eine Entwicklungsgesellschaft, die mit privaten Investoren Kooperationsverträge abschloss und einen Bebauungsplan für ein großes Wohnneubaugebiet gegen anfänglichen Widerstand des zuständigen Ministeriums und zweier Bürgerinitiativen mit jeweils unterschiedlichen Zielvorstellungen durchsetzte. Alles das ist eingebettet in ein aus der Konfliktforschung entwickeltes Phasenkonzept.
Die Gemeinde Langerwisch hatte gegenüber Seeburg nicht nur eine andere Ausgangsposition mit ihren zwei Ortskernen und früheren Suburbanisations-Wachstumsschüben von Berlin her, sondern setzte zunächst auf Sanierung und Verdichtung der Ortskerne bei moderatem Wachstum. Jedoch ging die bereits vor der Wiedervereinigung eingeleitete Sanierung aus verschiedensten Gründen alles andere als problemlos vonstatten und wurde infolge der Kommunalwahl 1993 und ausgewechselter Akteure fast gekippt, und man gab neuen Baugebieten außerhalb der Ortskerne den Vorrang.
Trotz gleicher (zumindest rechtlicher) Rahmenbedingungen gab es in den beiden Gemeinden unterschiedliche Akteure, Zielvorstellungen, Nutzung von Fördermitteln und Resultate hinsichtlich Bautätigkeit und Bevölkerungswachstum. An keiner Stelle der Arbeit aber findet sich eine Aussage zu den Auswahlkriterien. Beide Untersuchungsgemeinden liegen in demselben Kreis Potsdam-Mittelmark, beide gehören dem sogenannten Typ 3 (dörfliche Siedlung, die laut LEPeV auf Eigenentwicklung beschränkt sein und bis 2010 um maximal 10% wachsen sollte) an. Vielleicht hätte eine Gemeinde auch von der Ostseite der Stadtregion herangezogen werden sollen?
Es gibt noch mehr Fragezeichen. Beispielhaft sei auf einen Widerspruch hingewiesen: S. 11 werden vier Argumente dafür beigebracht, dass es sich hier nicht einfach um "nachholende Suburbanisierung" handle, während drei Seiten weiter doch von einem Nachholbedarf gesprochen wird. Und wäre unter den Argumenten für die Wohnstandortwahl im suburbanen Raum nicht auch die Schulsituation in den Schulen der Kernstadt zu nennen? Trotz solcher Fragezeichen ist die Arbeit ein höchstinteressanter Beitrag zum Geschehen in der Nach-Wende-Zeit im Großraum Berlin und außerordentlich lesenswert.    
Autor: Burkhard Hofmeister

Quelle: Erdkunde, 58. Jahrgang, 2004, Heft 3