Boris Braun: Unternehmen zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen. Konzepte, Akteure und Chancen des industriellen Umweltmanagements aus wirtschaftsgeographischer Sicht. Münster  2003 (Wirtschaftsgeographie 25). 343 S.

Die Wirtschaftsgeographie als Lehre der Mensch- Umwelt-Interaktionen beschäftigt sich mit vielfältigen Umwelten des Menschen bzw. der Organisation, aber nur selten mit der natürlichen Umwelt. Soyez (2002) spricht auf Grund dieses Defizits von der Umweltblindheit wirtschaftsgeographischer Forschung. Mit seiner Habilitationsschrift arbeitet Boris Braun den Beitrag der Wirtschaftsgeographie zur Analyse des Wirkungsgefüges zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt heraus. Der Verfasser verfolgt keinen holistischen Ansatz, sondern eine überwiegend anthropozentrisch-ökonomische Betrachtungsweise und stellt den einzelnen Betrieb in den Mittelpunkt der Betrachtung.

Damit greift er nicht den Pfad auf, mit der Konzeption einer umweltorientierten Wirtschaftsgeographie die Brücke zu den Naturwissenschaften und der physischen Geographie zu schlagen, wie sie etwa Dürr (1999) fordert. Braun sieht die Naturkomponente als relevante Dimension in betrieblichen Entscheidungsabläufen an. Naturwissenschaftliche Prozesse bleiben außen vor, nur deren Resultate spielen eine Rolle. Die Arbeit liefert auf verschiedenen Maßstabsebenen (national, regional, betrieblich) Herangehensweisen wirtschaftsgeographischer Forschung, konzentriert sich jedoch im Modellkonzept und empirischen Teil auf die unternehmensspezifische Ebene. Braun wählt die Ebene des Einzelbetriebs, um die umweltrelevanten Akteure mit ihren Handlungsschemata analysieren zu können und im Hinblick auf eine angewandte Forschung Steuerungsmöglichkeiten für das Akteurshandeln aufzudekken. Die Rahmenbedingungen der industriellen und gewerblichen Produktion werden in dieser Arbeit nicht hinterfragt, sondern die Möglichkeiten und Grenzen der Vereinbarkeit von ökologischen und ökonomischen Zielen in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. Damit sind Öko-Effizienz und -Effektivität die zentralen Strategieziele, nicht jedoch gesellschaftlicher Lebensstil-Wandel in Richtung Suffizienz (Genügsamkeit, Verzicht). Die Arbeit ist somit im Kern eine wirtschaftsgeographische Analyse im Stile der Geography of the firm-Ansätze. Der Aspekt der Innovationsentwicklung liegt auf der Umweltorientierung unternehmerischen Handelns. Braun entwickelt aus einem Baukasten verschiedener Theorieansätze v.a. zur Wirtschafts- und Unternehmensentwicklung seinen Ansatz einer mikroanalytisch orientierten Umweltforschung in der Wirtschaftsgeographie. Dabei geht er in mehreren Stufen vor: Ansätze zur Erklärung der ÖkologieÖkonomie- Problematik, Ansätze zur Wirtschaftsentwicklung und Umweltschutz auf der Makro- und Mesoebene sowie Ansätze zu Umweltschutz und Unternehmensentwicklung auf der Mikroebene. Die Ökologie-Ökonomie-Zielvereinbarkeit setzt Braun in das Zentrum seines Erkenntnisinteresses. Im Theorieteil trägt er Erklärungsansätze zusammen, die aus verschiedenen Blickwinkeln diese Fragestellung zu erhellen versuchen: Sozialwissenschaftliche systemtheoretische Ansätze, neoklassisch- effizienzorientierte Ansätze der Umweltökonomie sowie ganzheitlich-transdisziplinäre Ansätze der Ökologischen Ökonomie. Der Verfasser findet in diesen Ansätzen allgemeine Erklärungsmuster für die Umweltproblematik auf verschiedenen Maßstabsebenen und stellt deren raumwissenschaftlichen Aussagegehalt heraus. Die weiteren Kapitel beziehen sich immer wieder auf diese Logiken. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie bedeutet auf der Makro- und Mesoebene die Frage nach den gegenseitigen Zusammenhängen zwischen Umweltbelastungen, Umweltschutzmaßnahmen und Wirtschaftsentwicklung. Hierzu stellt Braun theoretische Modellansätze eigenen Analysen aus sekundärstatistischen Datensätzen und empirischen Beweisen aus der Literatur gegenüber. Auf der Mikroebene analysiert der Autor die Einflußdimensionen von Umweltschutz auf die Unternehmensentwicklung. Dabei geht es nur zu einem kleinen Teil um die Frage der Behandlung von Umweltschutzkosten im Betrieb, sondern v.a. um Anpassungshandlungen in Lern- und Innovationsprozessen. Die gesellschaftliche Verantwortung unternehmerischen Handelns spielt dabei eine wichtige Rolle für langfristige Wettbewerbsfähigkeit. Diese Verantwortung zum Erhalt der Umwelt als gesellschaftlichem Wert ist als ethisch-moralische Anforderung an das Unternehmensmanagement zu begreifen. Das Anspruchsgruppen-Konzept (Stakeholder- Ansatz) zeigt die Bandbreite der externen Einflußnahme auf ein Unternehmen: die Lenkungssysteme Markt, Politik und Öffentlichkeit. Daraus ergibt sich die unternehmerische Aufgabe des Managements gesellschaftlicher Ansprüche, die v.a. durch Umweltkommunikation operationalisiert wird. Aufbauend auf diesen Konzepten und Ansätzen entwickelt Braun einen konzeptionellen Rahmen für eine mikroanalytisch orientierte wirtschaftsgeographische Umweltforschung. Dabei handelt es sich um einen eklektischen Ansatz, da der Komplexität und Vielschichtigkeit von Einflußfaktoren anders bis jetzt noch nicht entsprochen werden kann. Mit seiner anthropozentrischen Sichtweise folgt der Autor der Luhmann'schen Theorie sozialer Systeme: Ökologische Signale werden nur dann wahrgenommen, wenn man sie in die Sprache von Gesellschaft und Wirtschaft überträgt. Braun betrachtet dabei lediglich Unternehmen und deren Management als Entscheidungsträger. Besondere Bedeutung für die Erklärung ihrer Handlungs- und Verhaltensweisen kommt den Einflußsphären der Umfelder zu: lokal, regional, national, supranational und global. Dies erfordert eine räumlich strukturierte Mehrebenen-Betrachtung der Unternehmensumwelt. Entsprechend dem sozial-ökologischen Paradigma (Pfriem 1995) kommunizieren die Unternehmen mit ihrem Umfeld nicht nur auf der monetären, sondern auch auf der ethisch-normativen Ebene. Unternehmen sind dadurch ein lernfähiges soziales System, das auf Außensignale reagieren kann. Die Unternehmensgrenzen werden unscharf, da Anspruchsgruppen von innen und außen das Unternehmen beeinflussen. Sie sind die Kommunikatoren und Übersetzer der Signale ökologischer Knappheiten. Der Rahmen einer empirischen mikroanalytisch orientierten wirtschaftsgeographischen Umweltforschung ist nach Braun ein Modell der Beziehungen des produzierenden Unternehmens zu seiner natürlichen und ökonomisch-sozialen Umwelt. Eine Erweiterung findet das Modell um die räumliche Dimension der Interessens- und Einflußsphären der Stakeholder. Dazu zieht Braun Parallelen zur Bedeutung von Nähefaktoren aus innovationsorientierten Netzwerk-Ansätzen. Die Kernaussagen des Modells faßt Braun in acht Arbeitshypothesen, die den Rahmen für die empirischen Studien liefern. Dabei greift er weitgehend auf Erkenntnisse des Theorieteils zurück, um die Aussagen zu konkretisieren. Teilweise sind die Hypothesen auf Raumebenen der Unternehmensumwelt bezogen. Auf Grund der pauschalen Gültigkeit des Modells bleiben die Aussagen relativ unspezifisch. Insbesondere wird nur von einem Standard- Unternehmenstyp ausgegangen, Typisierungsansätze unterbleiben zunächst. Im empirischen Teil konzentriert sich Braun auf das Umweltmanagementsystem EG-Öko-Audit (EMAS). Er stellt dieses System in seinem Entstehungskontext vor und vergleicht es mit ähnlichen Systemen (BS 7750 in Großbritannien und die ISONorm 14001). Die Verbreitung von EMAS validierten Betrieben analysiert der Vf. als Diffusion einer standardisierten organisatorischen Innovation in verschiedenen Raumebenen: Transnational erklärt er die Verschiedenartigkeit in den EU-Ländern hauptsächlich mit divergierenden umweltpolitischen Rahmenbedingungen und Pfaden der Systementwicklung. Innerhalb Deutschlands untersucht Braun regional differenziert v.a. die raumzeitliche Verbreitung von Umweltmanagementsystemen. Besondere Bedeutung kommt den Push- Faktoren zu, z.B. der Unterstützung von Kammern, Netzwerkaktivitäten der Unternehmerschaft, regionalen Konkurrenzverhältnissen (Wettbewerb um Imagevorteil der Ersteintragung als EG-Öko-Audit- Betrieb), sowie Betriebsgrößen und Branchenstruktur. Auf Grund der verbleibenden Erkenntnislücken führt der Autor verschiedene eigene empirische Erhebungen durch. Die Auswertung dieser Daten zu deutschen Öko-Audit-Standorten beginnt mit der Analyse der Impulse zur Einführung des EG-Öko- Audits, die Unternehmer erhalten. Braun mißt die Bedeutung des Einflusses verschiedener Anspruchsgruppen und differenziert diese nach Branchen, Betriebsgrößen und Standorten (Stadt-Land, West- Ost). Eine Clusterung nach der ökologischen Betroffenheit der Betriebe - entsprechend der Typisierung von Dyllick/Belz (1995) - führt zu einer interessanten Zuordnung von Unternehmensarten. Braun geht im Folgenden der Frage nach, warum ein Umweltmanagement eingeführt wurde und untersucht die Bestimmungsgründe für die Erlangung bestimmter Erfolgsdimensionen. Hier wechselt er die Methodik von der bisher vorwiegend deskriptiven Statistik zu multivariaten logistischen Regressionsmodellen und beschränkt sich dabei auf die Analyse des verarbeitenden Gewerbes. Basierend auf seinem Theoriemodell, den Arbeitshypothesen sowie den empirischen Erkenntnissen formuliert Braun nun sechs Hypothesen zu den Erfolgsfaktoren. Die laut theoretisch hergeleiteter Hypothesen positiv auf den Erfolg von Umweltmanagementsystem wirkenden Einflußfaktoren funktionieren - so Braun - aber nur eingeschränkt. Daraus leitet er schließlich Folgerungen für die Regionalpolitik sowie die Unternehmen selbst ab. Zur weitergehenden Klärung des Einflusses eines leistungsfähigen Umweltmanagements auf betriebswirtschaftlichen Erfolg wertet Braun eine Gruppe von ökologischen Pionierunternehmen gesondert aus und vergleicht sie mit jeweils ähnlich strukturierten "Normalunternehmen". Letztere messen dem betrieblichen Umweltschutz kein überdurchschnittliches Gewicht bei. Dazu verwendet der Verfasser die Methode des Matched pairs-Vergleichs, die bisher in der Wirtschaftsgeographie und den Wirtschaftswissenschaften nur selten angewandt wurde. Anschließend verläßt Braun den nationalen deutschen Fokus und analysiert die Einflußsphäre unterschiedliche nationaler Rahmenbedingungen am Vergleich Deutschland mit Großbritannien. Er greift in der Zusammenfassung die drei Leitfragenkomplexe der Einführung mit den aufgestellten Arbeitshypothesen auf und erläutert prägnant die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse. Mit seiner Arbeit füllt Braun eine längst fällige Lücke durch eine umweltorientierten Öffnung der Industrie- bzw. Wirtschaftsgeographie mit einem ganzheitlichen Modellkonzept. In der Herleitung des Modells filtert er aus der Vielzahl von theoriegeleiteten Erklärungsansätzen, v.a. aus Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zur Ökonomie/Ökologie- Problematik, die Einflußebenen auf betriebliches Handeln heraus. Mit dem Anspruchsgruppenkonzept stellt Braun die Lenkungsgrößen für Managemententscheidungen in seinen räumlichen Kontext. Damit konzipiert er ein schlüssiges Forschungskonzept, das nicht nur für seine konkrete Fragestellung der Einführung und Umsetzung von Umweltmanagementkonzepten Bedeutung hat. Brauns empirische Ergebnisse sind umfangreich und behandeln wesentliche Facetten dieses Themas. Durch die vielschichtige Herangehensweise aufeinander abgestimmter Erhebungen reichen die Erkenntnisse weit über bisherige Arbeiten zu Umweltmanagementsystemen hinaus. Die akkurate Bearbeitung von Hypothesen, die sich stringent logisch von den Leitfragen und den Arbeitshypothesen ableiten, führen letztlich zu übergreifenden und z.T. unerwarteten Ergebnissen. Durch die breit angelegte Studie sind spezifische Aussagen für einzelne Unternehmen bestimmter Größe und Branchenzugehörigkeit nicht sofort ausfindig zu machen, ein wichtiges Ergebnis dabei ist jedoch die z.T. geringe Bedeutung gerade dieser Einteilung. Das hat für die Praxis hohe Relevanz, insbesondere bei der Suche nach Vergleichskennziffern im Benchmarking oder best practice-Beispielen. Der Einfluß von Erfahrung mit Umweltorientierung der Unternehmenstätigkeit wurde m.E. etwas zu gering eingeschätzt. Von Entwicklungsphasen eines Organisationslernprozesses hängen z.B. die Zielrichtung des Umweltengagements (Gesetzeserfüllung, Kosteneinsparung, strategische Zukunftsausrichtung) ab, was wiederum das Erreichen der definierten Erfolgsdimensionen beeinflußt. Aus heutiger Sicht ist es schade, daß der Zeitpunkt der empirischen Arbeiten um 1998 liegt, da damit nur die EMAS I-Verordnung abgedeckt wird und Braun lediglich auf Auswirkungen der Novellierung in EMAS II argumentativ hinweisen kann. Bedingt durch die Fokussierung auf EMAS I werden hauptsächlich Fragen der Produktionsprozesse behandelt. Zukünftige Studien werden sich mehr mit dem weiteren Feld von nachhaltigem Wirtschaften von Organisationen zu beschäftigen haben. Dies bedeutet, die hier berücksichtigten ökologischen Ansprüche an das Unternehmen müssen um die sozialen ergänzt werden. Integrierte Managementsysteme, die Personal-, Umwelt- und Produktpolitik zusammenführen, gelten dann aus innerbetrieblicher Sicht als ein zentraler Untersuchungsgegenstand. Aus dem Blickwinkel der gesellschaftlichen Anspruchsgruppen liegt die Frage in der Einhaltung von Grundstandards der Produktions- und Produktqualität über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, um Gesundheitsgefährdungen für Mitarbeiter, Anwohner und Produktnutzer zu minimieren. Diese Verantwortlichkeit von Unternehmen (corporate responsibility) hat durch die Globalisierung der Unternehmenstätigkeit eher noch mehr als die Umweltmanagment- Fragestellung eine Raumrelevanz auf verschiedenen Maßstabsebenen und stellt einen großen Forschungsbereich für die Wirtschaftsgeographie dar.
Literatur
Dürr, H. (1999): Only Connect ... Pleading for a Neo-Holistic Geography. Geographica Helvetica. 54, S.189-198.
Dyllick, Th. und Belz, F. (1995): Anspruchsgruppen im Öko-Marketing. Eine konzeptionelle Erweiterung der Marketing-Perspektive. Umweltwirtschaftsforum 3, H. 1, S. 57-61.
Pfriem, R. (1995): Unternehmenspolitik in sozialökologischer Perspektive.- Theorie der Unternehmung 1, Marburg.
Soyez, D. (2002): Die Umwelten der Wirtschaftsgeographie. D. Soyez und Ch. Schulz (Hg.): Wirtschaftsgeographie und Umweltproblematik.- Kölner Geographische Arbeiten 76, Köln, S. 1-11.
Autor: Hans-Dieter Haas

Quelle: Geographische Zeitschrift, 92. Jahrgang, 2004, Heft 1 u. 2, Seite 120-123