Willkommen Nr. 6.000.000.000. Kenia - Vietnam - Deutschland im Vergleich. Video und Begleitmaterialien. Ein Projekt des Westermann Schulbuchverlags und der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW).

Die Weltbevölkerung hat Ende 1999 die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten. Dieses Ereignis war der Anlass für den Westermann-Verlag und die DSW, auf die im Jahre 2000 mit dem BMZ-Entwicklungspreis ausgezeichnete Reportage von GEO zurückzugreifen und einen Videofilm zu entwickeln. Aus dem Fotomaterial des Magazins, das während der ein halbes Jahr andauernden Begleitung dreier Familien durch ihren jeweiligen Lebensalltag in Kenia, Vietnam und Deutschland entstanden ist, konzipierten die Projektbearbeiter von Westermann und der DSW eine Art Dia-Tagebuch für jede dieser Familien. Im Mittelpunkt stehen dabei die drei im November 1998 geborenen Kinder Francis Mutia (Kenia), Ha Le (Vietnam) und Paulina (Deutschland) in ihren ersten sechs Lebensmonaten. Der Videofilm wird ergänzt durch eine 26seitige Broschüre mit Unterrichtsmaterialien zum Video.

Die Einleitung des zwanzigminütigen Films konfrontiert den Zuschauer mit den Erwartungen und Hoffnungen der Eltern für ihre Kinder: Für Francis Mutia, als neuntes (ungewolltes) Kind der Familie in einem Entwicklungsland geht es um Substantielles; der Junge soll "nur nicht hungern müssen". Ha Le als zweites Wunschkind einer Mechaniker-Familie mit kleinem Familienbetrieb aus dem neuen Mittelstand eines sog. Schwellenlandes "soll einen bescheidenen Lebensplan erfüllen". Pauline schließlich als erstes Wunschkind eines jungen Paares aus der oberen Mittelschicht einer westlichen Industrienation "soll rundherum geborgen" sein.
In den nachfolgenden Sequenzen des Films werden sechs Themen ('Hygiene und Gesundheit', 'Soziale Standards', 'Ernährungssituation', 'Familiäre Rahmenbedingungen', 'Mobilität' und 'Bildung') jeweils im direkten Vergleich der drei Familiensituationen als Grundlagen der sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen vorgestellt. Auf diese Weise können aus mehreren Perspektiven Einblicke vermittelt werden, die sich am Ende zu einem Gesamteindruck von den Lebenssituationen in den jeweiligen Ländern zusammenfügen. Die hier zusammengefassten (und nicht wie im Film thematisch strukturierten) Vergleiche ergeben folgende Bilder von den einzelnen Lebenswelten:
Für Francis Mutia beginnt das Leben in einer afrikanischen Hütte ohne Wasser und Strom. Weil die Krankenstation zu weit entfernt ist, hilft ihm eine alte Hebamme, die als einziges Entbindungsinstrument eine Rasierklinge hat, auf die Welt. Seine Mutter steht drei Tage nach der Geburt wieder auf dem Acker. Sie hat keine Zeit sich zu erholen, weil ihr Mann in Nairobi als Gärtner arbeitet, um die Familie mit Geld zu versorgen. Die Geschwister kümmern sich derweil um das Baby. Francis Mutias Ernährungslage ist gut; er bekommt mehr zu essen als seine Geschwister. Das Bett teilt er mit ihnen. Seine Mutter unternimmt mit ihm einen langen Fußmarsch zur Polio-Impfung im Hospital. Ein gemeinsamer Tag mit dem Vater im 300 km entfernten Nairobi ist für die Familie ein sehr seltenes Ereignis.
Ha Le wird in einer Klinik in Hanoi geboren; die medizinische Versorgung ist gut. Zu Hause erwarten ihn 30 Quadratmeter Wohnfläche, auf denen drei Generationen leben. Auch der traditionsgebundene Rückzug in 15 Quadratmeter (Mutter und Kind dürfen den Raum während der ersten vier Lebenswochen des Kindes nicht verlassen) wird von niemandem als Enge empfunden. Traditionen wie der Ahnenkult prägen die Privatsphäre der Familie. HaLes Umgebung ist durch einen gewissen Wohlstand geprägt: Niemand braucht Hunger zu leiden. Mit dem Motorrad werden häufig Verwandte auf dem Dorf besucht. Seine Familie hat den Ehrgeiz, dass er das Gymnasium und die Hochschule besucht. Paulinas Mutter hat sich durch einen Geburtsvorbereitungskurs auf die Entbindung in der Klinik vorbereitet. Zur Nachsorge kommt eine Hebamme ins Haus. Regelmäßige Untersuchungstermine beim Kinderarzt werden sie durch die ersten Lebensjahre begleiten. Ihre Mutter kann im Supermarkt zwischen 200 Fertiggerichten auswählen. Die Mutter empfindet sich als allein Erziehende; der Vater ist beruflich engagiert und kommt erst spät nach Hause. Dafür verreisen sie dann häufiger mal ein paar Tage. Pauline besucht eine Krabbelgruppe; dort wird ihre frühkindliche Entwicklung gezielt gefördert.
Das Unterrichtsmaterial nimmt gezielt Bezug auf die im Film angesprochenen Sachverhalte und soll gewährleisten, dass die dargestellten Lebenswelten der Kinder in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden können. Das im Wesentlichen aus Texten, Tabellen und Grafiken bestehende Material des Ländervergleichs konzentriert sich auf vier Themen ('Sozial- und Hygienestandards', 'Ernährung', 'Bildung' und 'Rolle der Frau') und ist für die oberen Klassenstufen der Sek. I konzipiert. Daneben gibt es jeweils eine Seite mit Hinweisen zur Entwicklung der Weltbevölkerung sowie mit weiterführenden Literatur- und Recherchehinweisen. Der Materialdokumentation vorangestellt sind drei verschiedene projektorientierte Vorschläge zum Einsatz von Film und Material im Unterricht.
Der Westermann-Verlag und die DSW haben mit dem Filmprojekt ein sehr vielfältiges Paket vorgelegt, das es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, durch einen lebensweltlich orientierten Ansatz konkrete Vergleiche vorzunehmen. Der Film konzentriert sich mit seinen Fallbeispielen auf bestimmte soziale Schichten bzw. Milieus und wirft natürlich die Frage auf, inwiefern die in diesen spezifischen Zusammenhängen jeweils geltenden Lebensbedingungen tatsächlich sinnvoll vergleichbar sind (z. B. die ländliche Situation in Kenia mit urbanen Strukturen in Hamburg). Der Film allein wäre sicherlich auch nicht in der Lage, die Zielvorstellung einzulösen, Schüler mögen angeregt werden, "sich näher mit dem Thema Weltbevölkerung zu beschäftigen". Mit Hilfe des beiliegenden Materials ist es aber durchaus möglich, bevölkerungsgeographische Themen zu bestimmen und mit disparitären wirtschaftlichen und sozialen Strukturen sowohl in nationalen als auch in weltweiten Kontexten zu verknüpfen. Insbesondere die dem Nachhaltigkeitsgrundsatz verpflichtete Textsammlung bietet hier immer wieder reizvolle Angebote, die gezielte lebensweltliche Bezüge und konkrete Beispiele beinhalten, und so durch eine gute Ergänzung zu den statistischen Materialien auch für eine zielgruppengerechte didaktische Reduktion sorgen.
Autor: Hans-Jürgen Hofmann

Quelle: geographische revue, 6. Jahrgang, 2004, Heft 1, S. 66-68