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Kategorie: Rezensionen

Dirk Bronger: Metropolen, Megastädte, Global Cities. Die Metropolisierung der Erde. Darmstadt 2004. 216 S.

Das mit einem hoch aktuellen, inhaltlich vielversprechenden Titel direkt ins Auge fallende Buch gliedert sich in 12 "Thesen" (Kapitel), die verschiedene Facetten der Metropolisierung behandeln. Schon bei der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses stellt sich allerdings die Frage, ob These 3 ("Alle Hochkulturen waren Stadtkulturen. Metropolen sind uralte Phänomene") in diesen Kontext passt oder ob These 6 ("Einem fortschreitenden Suburbanisierungsprozess in den Metropolen der Industrieländer steht ein bis heute anhaltender Verdichtungsprozess in den Entwicklungsländer-Metropolen gegenüber") für letztere noch zutrifft.

Der Autor ist durch viele, meist stark mit Statistiken ausgestatteten Beiträgen zur Metropolisierung allgemein sowie besonders zu Metropolen/Megastädten in Indien, China, den Philippinen etc. ausgewiesen. Er geht in vorliegendem Buch von einer sicherlich Widerspruch hervorrufenden, weil in dieser Form unhaltbaren Feststellung aus: ... "es ist sicherlich ein Schwachpunkt der [stadtgeographischen, -soziologischen?; G. M.] Theorieforschung, dass sie ihre Hypothesen leider nur sehr selten empirisch in den Ländern selbst überprüft hat" (S. 17). "Die Ursache vieler Forschungsdefizite" wird darin gesehen, "dass handfeste Belege (Kriterien, Daten, Zeitreihen ...) selten geliefert werden." So sieht der Verfasser es als eine "Verpflichtung" an, "nicht nur die wichtigsten Begriffsdefinitionen zu liefern, sondern die gemachten Aussagen auch quantitativ zu belegen" (S. 17).
Aber bereits bei den Begriffsdefinitionen (schon im Glossar, S. 13ff.) unterlaufen nicht akzeptable Fehler bzw. Ungenauigkeiten, z.B. bei Edge City, informeller Sektor, Mall, Polarization Reversal, Slum, Squattersiedlung, z.T. auch bei Gentrification und Suburbanisierung. Quantitativ ungleich besser gelingt die z.T. sehr detaillierte, arbeitsaufwändige Dokumentation zur Entwicklung und Struktur der Megastädte, vor allem zu den vier, für die vergleichende Analyse ausgewählten Beispielen New York, Seoul, Mexiko-Stadt und Mumbai. Die qualitative Aussagekraft der Statistiken ist
jedoch häufig fragwürdig; nur zwei Beispiele dafür:
a) als ein Indikator für die "Kernstadt als funktionales Herz" der Megastädte Mumbai und Mexiko-Stadt wird die Zahl der Universitäten herangezogen: 110 (!) in der Kernstadt von Mumbai gegenüber nur 9 in Mexiko-Stadt (Tab. 38). Diese Zahlen sagen überhaupt nichts aus über Größe, Ausstattung, rechtlichen Status, Qualität etc. der Universitäten;
b) zur Beurteilung der "funktionalen Dimension" der Megastadt Los Angeles und des Rhein-Ruhr-Ballungsraums wird u.a. die Zahl der Hochhäuser und Wolkenkratzer (über 20 bzw. über 50 Geschosse; Tab. 40) angeführt, wobei stadthistorische, -planerische und baurechtliche Kriterien einen derartigen Vergleich von selbst verbieten.
Methodisch sind vor allem Bedenken gegen die Übertragung des Stadtregionen-Modells von Boustedt (1953, 1970) auf die Megastädte, gerade auf die in den Entwicklungsländern, anzumelden, das sich als die "geeignetste Grundlage für eine differenziertere Abgrenzung und damit Analyse des suburbanen Raums" (S. 60) anbietet. Die Gliederung der Megastadt-Beispiele in Kernstadt, Kerngebiete, metropolitane Agglomeration und metropolitane Region kommt fast einem statistischen Rösselsprung gleich. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass nicht nur bei den Megastadt-Beispielen, sondern auch bei allen Vergleichen zur Entwicklung und Struktur anderer Megastädte sich methodisch die Frage der Datenharmonisierung für die Stadtregion-Gliederungen und damit für die Vergleichbarkeit auf dieser Basis überhaupt stellt.
Es bleibt abschließend die Frage, ob mit den hier angewandten, stark statistisch orientierten Methoden die aktuellen, brennenden Phänomene der Metropolen, Megastädte und Global Cities überhaupt erfasst werden können. Die - in diesem Zusammenhang - derzeit die internationale und interdisziplinäre wissenschaftliche Diskussion beherrschenden Problembereiche wie z.B. Regierbarkeit (governance), informelle Steuerungsformen, informelle Stadt, ökologische und soziale Vulnerabilität, "neue" Armut, Korruption/
Manipulation, Sicherheit/Gewalt u.a. sind weitgehend oder sogar gänzlich ausgeblendet. - Schade für das sehr aufwändige, allerdings auch mit vielen kritikanfälligen Karten (Maßstäbe, kartographische Layouts) ausgestattete Werk.
Autor: Günter Mertins

Quelle: Erdkunde, 59. Jahrgang, 2005, Heft 2, S. 156