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Kategorie: Rezensionen

Martin Lendi und Karl-Hermann Hübler (Hg.): Ethik in der Raumplanung. Zugänge und Reflexionen. Hannover 2004 (Forschungs- und Sitzungsberichte 221). 297 S.

Die ethische Frage "Was müssen wir tun" ist die erste Frage der Raumplanung. Diese Priorität ergibt sich zum einen, weil die Raumplanung selbst von der Sache her auf die - normativ geleitete - Gestaltung der Lebensumwelt zielt. Sie gilt zum anderen, weil in den gegenwärtigen Zeiten drohender Beliebigkeit die Beantwortung von Wertfragen im Interesse aller immer schwieriger wird.

MARTIN LENDI weist auf diese doppelte Notwendigkeit ethischer Reflexionen in der Raumplanung in seinem wichtigen "Vorwort als Einleitung" hin. Der Herausgeber leistet in seinen einleitenden Worten zu dem überaus interessanten Sammelband noch mehr: Er verweist auf die Bedeutung der Ethik als möglicher selbstbindendender Kraft menschlichen Handelns. Ethik, so führt LENDI aus, habe die Funktion, "sich Zeit zu nehmen für das Besinnen, um dann besonnen zu handeln" (S. 2). Ethik gewährt somit niemandem, der alltäglich unter Entscheidungsdruck steht, eine Richtlinie, eine Rezeptur des Handelns. Sondern das Nachdenken über die ethischen Grundlagen im Planerhandeln ist die Einladung, Reflexionen zu eröffnen und Rückfragen zu stellen an die mögliche Überzeitlichkeit und Überörtlichkeit des gebotenen Tuns. Mit dieser nachdenklichen fachlichen Einstimmung ist der Grundton für die folgenden Beiträge gesetzt. Es geht in dem Sammelband tatsächlich, wie der Untertitel sagt, um "Zugänge und Reflexionen" zur Ethik in der Raumplanung. Zu diesem Zweck werden einige gedanklich bestechende Beiträge präsentiert. So formuliert der christliche Sozialethiker MARKUS VOIGT Gedanken zum Prinzip der Nachhaltigkeit, wie ich sie präziser kaum je hierzu gelesen habe. Mit Bravour gelingt es dem Theologen aus Benediktbeuern, Fragen und Lösungswege für eine intergenerationelle Gerechtigkeit zu durchdenken. PETRA MICHEL-FABIAN diskutiert in ihrem Beitrag sehr systematisch mögliche Anknüpfungspunkte für eine ethische Betrachtung aus Sicht der Raumplanung. Sie referiert zielsicher über ethische relevante Gegenstände in den Planungsinhalten, -methoden, -verfahren, -instrumenten und Planungszielen. Hier findet der Leser einen guten, anwendungsbezogenen Aufsatz, der gerade Praktikern Hilfestellung gibt, ethische Probleme bzw. Fragen in konkreten Planungsfällen zu erkennen und zu reflektieren. Ein weiterer sehr überzeugender Text stammt aus der Feder von CORINNA CLEMENS. Sie unternimmt den Versuch, die Aufgaben einer anwendungsorientierten Ethik aus Sicht der Planerausbildung zu betrachten. Hierfür rekurriert sie unter anderem auf Ansätze der amerikanischen Planerorganisation (AICP), eine Minimalethik festzulegen - und kritisiert diesen allzu pragmatischen, letztlich sogar kurzsichtigen Ansatz zurecht als schütter (vgl. S. 213). Alles in allem machen die Beiträge dieses gelungenen Sammelwerkes deutlich, wie unerlässlich das Nachdenken über sittliches Handeln in der Raumplanung ist. Denn wer - wie die räumliche Planung - versucht, vorausschauend zu handeln im Vertrauen auf eine ungewisse Zukunft, der agiert notwendig auch auf dem Boden des Normativen. Dieses moralische Fundament zu negieren und nicht zu reflektieren, wäre verantwortungslos. Es zu bedenken und selbstkritisch zu betrachten, heißt erste Schritte zu gehen auf dem Weg zu einem ethisch fundierten Planungshandeln und Planer-Sein.    
Autorin: Ilse Helbrecht

Quelle: Erdkunde, 59. Jahrgang, 2005, Heft 2, S. 171