Ute Schneider: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute. Darmstadt 2004. 144 S.

Eine Beurteilung des Bandes fällt nicht leicht, da er einerseits über hervorragende Farbkarten und andere Reproduktionen alter Kartenwerke verfügt, die in dieser Qualität nur selten aufgelegt werden, andererseits aber auch deutliche Enttäuschungen hinsichtlich des textlichen Inhaltes hinterlässt. Neben einer mehr verwirrenden als erhellenden Gliederung gehört dazu ein bestenfalls als "fragmentarisch" zu bezeichnendes Literaturverzeichnis, das wichtige Standardwerke zur Kartographie vor allem aber zur Kartographiegeschichte ignoriert.

Auf alle Fehler und Ungereimtheiten des Bildbandes im Einzelnen näher einzugehen, würde den Rahmen einer Rezension sprengen; dennoch seien hier einige aufgeführt. So mag es den Leser überraschen, dass antike Weltreiche doch größer waren, als bisher vermutet, denn auf Seite 21 wird von Karten berichtet, die "das römische Imperium von Spanien bis nach Indien" zeigen. Auch in Nordamerika scheint einiges durcheinander geraten zu sein, denn hier erfährt man über die Cherokee: "Sie waren früh mit weißen Siedlern in Kontakt gekommen und werden deshalb als die ‚fünf zivilisierten Nationen' bezeichnet"
(S. 57). Ein eher ungewöhnliches Geschichtsbild liefern auch die Kommentare zur amerikanischen Frontier der Pionierzeit nach Frederick Jackson Turner, bei der der Bildband - entgegen bisher bekannter Fakten - ein Fortschreiten der Zivilisation "von West nach Ost" konstatiert (S. 104). Als Quellenangabe für das in diesem Zusammenhang abgebildete Kartenblatt genügt der Autorin der Hinweis, dass dies "ein amerikanischer Geschichtsatlas" zeige.
Auf den Seiten 64 bis 77 werden die Themenfelder Projektionen, Standardisierungen und moderne Kartographie angesprochen. Vergeblich sucht man hier jedoch eine Thematisierung der politischen Bedeutung von Kartenprojektionen, der bis heute relevanten Problematik der Merkator-Projektion oder gar der politisch hochbrisanten Peters-Weltkarte. Nach dieser potentiellen Annäherung an Themen der modernen Kartographie, die dem Leser ansonsten nur im Titel des Werkes begegnet, mag es verwirren, dass die anschließenden Seiten sich dann wieder mit der Teilung der Welt befassen - allerdings mit der Weltaufteilung zwischen Portugal und Spanien am Ende des 15. Jahrhunderts.
Allgemein erscheint der Bildband als eine zumindest neue, wenn auch nicht immer sinnvoll neu zusammengestellte Sammlung von Kapiteln längst bekannter und vielfach dargestellter Fakten zum Thema Kartographiegeschichte in anderem Gewand. Wirklich Neues gibt es dabei kaum zu entdecken und die im Titel geweckten Erwartungen werden, zumindest was den Teil "... bis heute" betrifft, größtenteils nicht erfüllt. Dies liegt sicher auch mit in der Tatsache begründet, dass das eigentliche Thema des Bandes lediglich auf den Seiten 79 bis 93 angesprochen wird, in einem Kapitel, welches mit "Die Macht der Karten" bezeichnenderweise genau-so heißt wie das Gesamtwerk. Insgesamt also ein hübscher Bildband mit erbaulichen Farbtafeln, einigen Fehlern, ohne wesentlich Neues und wenig wissenschaftlichem Inhalt, der leider nicht zu halten vermag, was der Titel verspricht.
Autor: Andreas Dittmann

Quelle: Erdkunde, 60. Jahrgang, 2006, Heft 2, S. 181