Jürgen Bähr und Ulrich Jürgens: Regionale Stadtgeographie. Stadtgeographie II. Braunschweig 2005. 350 S.

Wer vergleichend städtische Entwicklungen auf der ganzen Welt in den Blick nehmen möchte, ist mit der neuen "Regionalen Stadtgeographie" aus der Schriftenreihe "Das Geographische Seminar" gut bedient. Das von JÜRGEN BÄHR und ULRICH JÜRGENS verfasste Lehrbuch folgt dem jüngst erschienenen ersten Band zur "Allgemeinen Stadtgeographie" von HEINZ FASSMANN und behandelt zu zwei Dritteln die verschiedenen Ausprägungen von Stadtstrukturen und Stadtentwicklung in elf verschiedenen Kulturräumen der Welt - wobei BÄHR und JÜRGENS nicht den Begriff der "Welt", sondern den der "Erde" verwenden und schon damit deutlich wird, dass sie an die geographische Tradition der Kulturerdteile anknüpfen.

In dem anderen Drittel werden - quasi vorbereitend für die Beschreibung der kulturräumlichen Stadttypen - begriffliche Klärungen und Abgrenzungen zur Stadt vorgenommen, allgemeine Aspekte zu Verstädterungsprozessen der Erde behandelt und ein historischer Abriss der Stadtentwicklung von den Ursprüngen der ersten Städte im Vorderen Orient bis zur Industrialisierung geliefert. Dieses erste Drittel vertieft zwar den einen oder anderen Aspekt der historischen Stadtentwicklung gegenüber vorliegenden geographischen Lehrbüchern, bringt aber nicht entscheidend Neues. Die Gliederung und auch einige Inhalte ähneln hier dem UTB-Lehrbuch zur Stadtgeographie von HEINZ HEINEBERG.
Wesentlich weiter gehend als das Lehrbuch von HEINZ HEINEBERG ist aber der inspirierende und zur Kritik herausfordernde siebte Abschnitt des neuen Lehrbuchs von BÄHR und JÜRGENS, in dem die beiden Autoren den Untertitel ihres Werks "Regionale Stadtgeographie" einlösen. Dazu beziehen sie sich auf eine Gliederung der gesamten Welt in elf Kulturräume und zeichnen für jeden kulturräumlichen Stadttyp spezifische Entwicklungspfade nach, die idealtypisch in einer Abfolge von der präindustriellen über die industrielle zur
postindustriellen Stadt verlaufen. Dabei unterscheiden die beiden Autoren zunächst zwischen westlichen und nicht-westlichen Entwicklungspfaden und bilden in diesen beiden Kategorien jeweils verschiedene Varianten, die sich zum einen auf Westeuropa, die ehemals sozialistischen Staaten in Osteuropa, auf Nordamerika, Japan und Australien und zum anderen auf den Orient, Südasien, Ostasien mit China, Südostasien, Lateinamerika und Afrika südlich der Sahara beziehen. Auf diese Weise entwickeln die beiden Autoren den Anspruch, für alle Regionen der Welt eine Stadtbeschreibung abgeben zu können.
Die Problematik, unterschiedliche Stadtentwicklungsprozesse für einzelne Kulturräume weltweit differenzieren und typisieren zu wollen, ist den beiden Autoren sehr wohl
bewusst und wird deshalb auch zu Beginn und am Ende des Buches thematisiert. So wird gleich im ersten Kapitel festgestellt, dass es in der Folge der Globalisierung starke Trends gibt, die zu einer weltweiten Homogenisierung und Vereinheitlichung der Städte führen. Dennoch wird an dem Konzept der Kulturerdteile für den Aufbau des Lehrbuchs festgehalten. Das Problem wird im Schlussteil wieder aufgegriffen. "Konvergente und divergente Tendenzen der Stadtentwicklung" bilden auf diese Weise eine Klammer, die das Lehrbuch zu einer reflektierten Darstellung des klassischen Konzepts der Kulturerdteile werden lässt, ohne dass dieses Gliederungsprinzip aber aufgegeben oder alternative Zugänge aufgegriffen werden. So hätte beispielsweise die Differenzierung der aktuellen Stadtentwicklungsprozesse im Weltbericht für die Zukunft der Städte, die unter Leitung von PETER HALL und ULRICH PFEIFER von der Weltkommission Urban 21 zur Berliner Weltkonferenz im Jahr 2000 erarbeitet wurde, eine andere problembezogene Perspektive der weltweiten Stadtentwicklung sein können.
Neben dem Anspruch, alle Städte der Welt in einem Schema von elf Kulturräumen zu fassen, erscheint die Modellbildung diskussionswürdig, die im Zentrum der Beschreibung der Stadttypen der einzelnen Kulturerdteile steht. So ist es ein Ziel der beiden Autoren, für jeden Stadttyp der verschiedenen Kulturräume der Erde jeweils ein Strukturmodell in Form einer schematischen Darstellung zu präsentieren, in dem idealtypische Elemente der Stadtstruktur und Stadtentwicklung dargestellt werden. Diese Idee umzusetzen, ist nicht ganz einfach. So wird dies den beiden Autoren auch selbst bewusst, wenn sie beispielsweise die westeuropäischen Städte als eine Residualgröße bezeichnen, für die es schwer fällt, Gemeinsamkeiten zu finden, die in ein graphisches Strukturmodell gepasst hätten. Hier hätte zwar ein Blick in den Sammelband von WALTER SIEBEL zur Europäischen Stadt auch nicht helfen können, doch die fünf Merkmale zur Charakterisierung der europäischen Stadt aus diesem Werk hätten den Teil zu diesem Kulturraum noch ergänzen können.
Schließlich wollen BÄHR und JÜRGENS die weltweiten Stadtentwicklungsprozesse auch historisch in bestimmten Kategorien beschreiben. Dabei sollen ihnen Unterscheidungen wie präindustriell, industriell und postindustriell, aber auch kolonial bzw. postkolonial helfen. Schwierig wird ein solcher historisch-genetischer Ansatz mit einer ausgesprochen eurozentristischen Perspektive bei den nordamerikanischen Städten. Diese in einem aktuellen Lehrbuch als eine Variante der europäischen Siedlungskolonien in Übersee im westlichen Entwicklungspfad zu bezeichnen, erscheint angesichts der gewaltigen Einflüsse, die die amerikanische Stadtentwicklung weltweit ausübt, nicht ganz zeitgemäß. Damit erscheinen die Ursachen und Wurzeln für die aktuellen Entwicklungen der postmodernen Stadt, die sich in den US-amerikanischen Städten in besonderer Weise abzeichnen und die auf die Stadtentwicklung in allen Kulturräumen wirken, im Aufbau des Lehrbuchs etwas zu kurz zu kommen.
Bei dem Lehrbuch handelt es sich um ein deutlich geographisches Werk. So fällt auf, dass BÄHR und JÜRGENS sich überwiegend auf geographische Fachliteratur beziehen. Hier bieten sie einen sehr aktuellen und umfassenden Überblick. Bis auf einige Ausnahmen fehlen aber Hinweise auf Publikationen, die aus anderen Disziplinen wie beispielsweise der Stadtsoziologie, dem Städtebau oder der Architektur kommen. Eine noch intensivere Berücksichtigung dieser Werke hätte zu einer noch spannenderen Auseinandersetzung mit der
regionalen Stadtgeographie führen können. Nicht ganz lesefreundlich erscheint das Literaturverzeichnis, das die Literatur der ersten sechs Abschnitte zusammenfasst, um anschließend die Literatur nach den unterschiedlichen Kulturräumen zu gliedern. Hier fällt eine Suche nach der entsprechenden Literatur nicht ganz leicht. Dies ist aber nur ein kleiner Mangel, der das Gesamtbild des sorgfältigen Werkes kaum beeinträchtigen kann, in dem es aber leider keine Fotos zur Illustration gibt.
Zusammenfassend bleibt festzustellen: Es handelt sich um ein zwar neues, aber doch recht "klassisch" geographisch anmutendes Lehrbuch, das einerseits ein umfangreiches Wissen vermittelt und damit als Lehrbuch für Studierende geeignet ist, andererseits aber sehr hartnäckig versucht, in die weltweiten und historischen Prozesse der Stadtentwicklung eine systematische Ordnung zu bringen, die deshalb zwangsläufig einige regionale Individualitäten vernachlässigen muss. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk lohnt!
Autor: Claus-C. Wiegandt

Quelle: Erdkunde, 60. Jahrgang, 2006, Heft 2, S. 182-183