Andreas Keil: Industriebrachen - Innerstädtische Frei-räume für die Bevölkerung. Mikrogeographische Studien zur Ermittlung der Nutzung und Wahrnehmung der neuen Industrienatur in der Emscherregion. Dortmund 2002 (Duisburger Geographische Arbeiten 24). 298 S.

Die in Duisburg entstandene, umfangreiche Dissertation ragt in zweifacher Hinsicht aus der kaum mehr zu überblickenden Vielzahl von Publikationen zum Themenfeld Brachflächen heraus. Während Industriebrachen meist als Potentiale für die ökonomische Restrukturierung ihrer Standortregion wahrgenommen werden und demgemäß (Detail-)Fragen ihrer Aufbereitung und (meist baulichen) Wiederverwendung im Vordergrund stehen, widmet sich ANDREAS KEIL solchen Brachflächen, die nach Auslaufen ihrer industriellen Nutzung weitgehend sich selbst überlassen blieben und dadurch zu Lebensräumen ganz spezifischer Pflanzen- und Tiergesellschaften wurden, welche im Ruhrgebiet seit der von Karl Ganser initiierten Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark als Industrienatur bezeichnet werden.

Zwei charakteristische IBA-Projekte, der Landschaftspark Duisburg-Nord mit der eindrucksvollen Ruine des Hüttenwerkes Meiderich sowie der Skulpturenpark und Industriewald Rheinelbe in Gelsenkirchen-Ueckendorf, bilden denn auch zusammen mit der ehemaligen Thyssen-Sinteranlage Duisburg-Ruhrort die Untersuchungsflächen der Fallstudien. Bevor es dazu kommt - dies ist die andere Besonderheit seiner Untersuchung und macht zugleich ihren spezifischen Reiz gerade für humangeographisch orientierte Leser aus -, erarbeitet ANDREAS KEIL eine außergewöhnlich sorgfältige, dem qualitativen Forschungsparadigma verpflichtete theoretische Fundierung seiner "mikrogeographischen Erfassung von Industrienatur" (Kap. 2). Was er selbst als Offenlegung seines Vorverständnisses bezeichnet, geht in Wahrheit weit darüber hinaus. In immer neuen Schleifen setzt er sich einerseits mit den verschiedenen Facetten von Industrienatur auseinander und bringt diese andererseits in ältere und aktuelle Diskurse zu unterschiedlichsten Themen ein: von Umweltbildung bis zu Industriekultur, von Regionalbewusstsein bis zu Image und Tourismus. So wird Schicht um Schicht ein in dieser Form bisher einmaliges "Orientierungswissen" zum Leitbegriff Industrienatur erarbeitet, auf dessen Basis nach einer "Sachanalyse" der Untersuchungsflächen (Kap. 4) das empirische Vorgehen konzipiert wird, wobei für die beiden Untersuchungsschwerpunkte der Arbeit unterschiedliche Methoden eingesetzt werden (Kap. 5). Die Erfassung des Besucherverhaltens auf den Industriebrachen erfolgt durch strukturierte Beobachtungen und Kartierungen von Nutzungsspuren, während zur Analyse der Wahrnehmung und Bewertung der Industriebrachen leitfadengestützte Interviews mit Besuchern und Experten durchgeführt wurden. Eine Fotoaktion, bei der Besucher mit einer zur Verfügung gestellten Kamera ihnen wichtige Eindrücke festhalten konnten, lieferte ergänzende Informationen zu beiden Aspekten.
Auf die vielfältigen und hochinteressanten Ergebnisse (Kap. 6-9) kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Nutzungsspektrum der Industriebrachen insgesamt breiter und weniger formalisiert ist als bei anderen städtischen Freiräumen und damit der spezifischen "Wildheit" von Industrienatur entspricht, die diese in der Wahrnehmung der Besucher von Industriebrachen und der Experten ebenso auszeichnet wie die charakteristische Kombination von Industrienatur mit Resten industrieller Anlagen ("Industriekultur"). Die abschließenden planungsrelevanten Schlussfolgerungen (Kap. 10) betonen folgerichtig gerade diese ästhetisch-emotionale Dimension von Industrienatur, ohne ihre ökologische Dimension zu übersehen. Es steht zu hoffen, dass diese innovative und anregende Arbeit von ANDREAS KEIL Anstoß und Grundlage für weitere humangeographische Untersuchungen zum Thema Industrienatur bildet, das bisher überwiegend aus (natur-)ökologischer Sicht behandelt wurde.
Autor: Manfred Hommel

Quelle: Erdkunde, 60. Jahrgang, 2006, Heft 2, S. 193