Christian Schulz: Agenten des Wandels? Unternehmensbezogene Umweltdienstleister im industriellen Produktionssystem. München 2005. 261 S.

Der wirtschaftliche Strukturwandel in den drei letzten Jahrzehnten wurde - wie zahlreiche empirische Untersuchungen belegen - maßgeblich durch den starken Bedeutungszuwachs der Dienstleistungen getragen. Die nach wie vor dynamische Entwicklung dieses Wirtschaftssektors zeigt, dass der Tertiärisierungsprozess bisher nicht abgeschlossen ist, sondern Dienstleistungen sich weiter ausdifferenzieren.

Von der Forschung zunächst weitgehend unbeachtet hat sich in den letzten Jahren mit den industriebezogenen Umweltdienstleistern ein neues Marktsegment der Umweltschutzwirtschaft entwickelt. Es handelt sich dabei häufig um wissensintensive, teilweise hochspezialisierte Unternehmen, die für Kunden aus dem produzierenden Gewerbe Dienstleistungen zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes erbringen. Dieses junge Marktsegment verdankt seine Wachstumsdynamik unterschiedlichen Einflussfaktoren. Verschärfte Normen und Auflagen, aber auch freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie bedingen zunehmend eine wachsende Nachfrage nach externer Beratung.
Christian Schulz machte es sich in seiner Habilitationsschrift zur Aufgabe, dieses neue Dienstleistungsmarktsegment aus wirtschaftsgeographischer Sicht näher zu untersuchen. Die stark wachsende Gruppe externer Umweltdienstleister spielt nach seiner Einschätzung eine nicht zu vernachlässigende Rolle für die Wirtschaftsentwicklung, tragen sie doch als Intermediäre zwischen umweltrechtlichen Parametern und den betroffenen Unternehmen zum Transfer oder gar zum Anstoß von Innovationen bei. Gerade externen wissensintensiven Beratungsdienstleistern wird die Fähigkeit zugesprochen, als Agenten des Wandels künftig verstärkt wirksam zu sein. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungsvorhaben untersuchte zwei industrielle Agglomerationsräume in Deutschland und in Frankreich: die Regio Rheinland (IHK-Bezirke Köln und Bonn) sowie die Region Nord-Pas-de-Calais.
Der Autor bemängelt, dass sich die Wirtschaftsgeographie bisher viel zu wenig mit umweltbezogenen Themen befasst hat. In vielen kleineren Studien und empirischen Analysen wurde zwar in der Vergangenheit immer wieder auf umweltspezifische Zusammenhänge  Bezug genommen, größere Forschungsprojekte einer umweltorientierten Wirtschaftsgeographie sind aber erst seit wenigen Jahren bekannt, z.B. die Studie von Boris Braun (2003) ·er industrielles Umweltmanagement aus wirtschaftsgeographischer Sicht. Vor diesem Hintergrund kommt der vorliegenden Publikation ebenfalls Pionierstatus zu. Besondere Beachtung wird der Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren oder Akteursgruppen im Umweltsektor geschenkt. Die wesentlichen Hauptfragestellungen, basierend auf theoretisch-konzeptionellen Überlegungen, werden aufgezeigt und stichhaltig begründet. Der Autor diskutiert vier Zugänge auf der Grundlage regulationstheoretischer, organisationstheoretischer, innovationstheoretischer sowie konstruktivistischer Konzepte in einer sorgfältigen Literaturanalyse: Die Makroebene wird üer die Regulationstheorie abgebildet, die organisationstheoretischen Ansätze wenden sich hauptsächlich dem meso- und mikroskaligen Bereich zu, während die innovationstheoretischen Konzepte ausschließlich die Mikroebene fokussieren. Mit dem konstruktivistischen Zugang gelingt es, einen für die Fragestellung wichtigen Perspektivenwechsel zu vollziehen.
Die Vorstellung der eingesetzten methodischen Konzepte verdeutlicht, dass der Autor stark auf Methodenpluralität und eklektische Forschungskonstrukte setzt. Die Verzahnung verschiedener Erhebungsmethoden, explorative Internet- und  Datenbankrecherchen, Interviews und Fragebogenerhebungen sowie die exemplarisch eingesetzte Diskursanalyse lassen vielversprechende Ergebnisse der Empirie erwarten, die insbesondere für die bisher weniger bekannte Anbieterseite der Umweltdienstleister auch erzielt werden. Für die beiden Untersuchungsräume werden die regionalspezifischen Parameter für die Umweltschutzwirtschaft definiert. Bei den beide industriellen Agglomerationsräumen handelt es sich jedoch um recht unterschiedliche Raumkonstrukte. Die Region Nord-Pas-de Calais ist eine staatlich verfasste Gebietskörperschaft, die Regio Rheinland stellt eine in jüngerer Zeit entstandene Raumeinheit dar, die von Kommunen und Wirtschaftsakteuren etabliert wurde. Für die regionale Umweltwirtschaft und die Entwicklung von Umweltdienstleistungen ergaben sich entsprechend ungleiche Voraussetzungen. Für beide Räume wird die Unternehmensstruktur untersucht sowie das Gründungsgeschehen vergleichend beschrieben. Die Untersuchung der Absatzmärkte macht deutlich, dass mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen überwiegend für Kunden aus dem produzierenden Gewerbe tätig sind.
Im Zuge der Darstellung des industriellen Produktionssystem werden modellhaft das Beziehungsgeflecht zwischen einem großen Industriekunden und seinen externen Umweltdienstleistern skizziert sowie die Kooperationsformen unter den Dienstleistungsanbietern beschrieben. Die grenzüberschreitenden Kooperationen der international angelegten Netzwerke werden aufgezeigt. Eine Distanzsensitivität der wissensintensiven Umweltdienstleistungen zeigt sich vor allem bei kleineren Aufträgen. Gegenüber ihrer Kostenrelevanz spielt räumliche Distanz nach den Befunden des Autors jedoch eine größere Rolle für die Vertrauensbildung zwischen Dienstleistern und Kunden. Weitere interessante Ergebnisse beziehen sich auf die Bedeutung des interorganisationalen Lernens für die Kundenbeziehungen. Die Intensität von Kunden- und Netzwerkbeziehungen bei wissensintensiven unternehmensbezogenen Umweltdienstleistungen macht das große Potenzial für interorganisationale Lernprozesse und damit für den Transfer von explizitem und implizitem Wissen sowie die Generierung von neuem Wissen deutlich. Unternehmensübergreifendes "Umwelt-Lernen" konnte in mehreren Fälllen nachgewiesen werden, wobei in starkem Maße Vertrauensbeziehungen, persönliche Kontakte und Kontinuität der Kooperation von Bedeutung sind. Durch learning by interacting können Generierung und Transfer von umweltschutzbezogenem Wissen wechselseitig erfolgen.
Schulz weist nach, dass strategisches Unternehmerverhalten und industrieller Wandel nicht ausschließlich dem ökonomisch-rationalen Handeln verantwortlicher Entscheidungsträger geschuldet, sondern in starkem Maße auch externen politischen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren unterworfen sind. Fragen der Problemkonstruktion und des Framing, beispielsweise welche Art von Umweltproblemen im jeweiligen gesellschaftlichen Diskurs wie thematisiert und bewertet werden, bestimmen maßgeblich politische und unternehmerische Handlungsprioritäten. Zentrale Bedeutung innerhalb der vom Autor präferierten konstruktivistischen Betrachtung haben die vorgefundene Diskursstile, die unmittelbar wirklichkeitsschaffend sind. Das verwendete Codierungssystem ermöglicht die Klassifizierung von Diskurssträngen, die umweltorientierte Handlungsbedarfe entweder ethisch-moralisch, gesetzesorientiert oder ökonomisch bzw. marketingstrategisch begründen. Die zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse macht deutlich, dass Umweltdienstleister nicht pauschal als Agenten des Wandels betrachtet werden können. Sie müssen durch ihre proaktive Haltung nachweisbare Wandlungsprozesse in Gang setzen und in Sachen Umweltschutz als treibende Kraft wirken. Als besonders verdienstvoll ist hervorzuheben, dass der Autor eine Typologie der Umweltdienstleister entwickelt und deren Umwelteinfluss im regionalen Vergleich darstellt.
Mit der vorgelegten Arbeit leistet der Autor einen wesentlichen Beitrag zur methodischen Weiterentwicklung einer umweltbezogenen Wirtschaftsgeographie. Unter Einbeziehung regulations-, organisations- und innovationstheoretischer sowie konstruktivistischer Ansätze gelingt ihm ein eklektischer Theoriemix, der zu neuen, durch die aussagekräftige Empirie gestützten Sichtweisen im Fach führt. Schulz ist mit dieser Studie wegweisend nicht nur für die Geographie, sondern auch für die relevanten Nachbardisziplinen. Die vorliegende Publikation kann aufgrund ihrer Anwendungsorientierung auch für die berufliche Praxis bestens zur Lektüre empfohlen werden.
Autor: Hans-Dieter Haas

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 50 (2006) Heft 3/4, S. 276-277