Michael Flitner und Julia Lossau (Hg.): Themenorte. Münster 2005 (Geographie 17). 200 S.

 "Europapark" in Rust, "Tropical Islands" in Brandenburg - strategisch inszenierte und kommerziell ausgerichtete Orte werden unter dem Schlagwort "Themenorte" seit Mitte der 1990er Jahre in der angloamerikanischen Literatur diskutiert. Gegen diese auf ökonomische Dimensionen reduzierte Sichtweise von "Glitzerwelten" wenden sich Michael Flitner und Julia Lossau nicht nur in der Auswahl der publizierten Beiträge des vorliegenden Sammelbandes, sondern auch in ihrem einleitenden Aufsatz. Sie betonen neben der Bedeutung von politischen Intentionen bei der thematischen Inszenierung von Orten auch die Existenz von funktionalen Themenorten wie Autobahnraststätten und Bahnhöfen.

In den mehr oder minder dauerhaft zugeschriebenen Bedeutungen zeigt das Konzept der Themenorte inhaltliche Parallelen zu dem aus Frankreich stammenden und auch in Deutschland viel diskutierten Ansatz der "Erinnerungsorte". Doch Flitner und Lossau reißen noch weitere Konzepte an: Sie zitieren beispielsweise die Nicht-Orte Augés, nennen die Hyperrealitäten Ecos und verweisen auf die Simulakren Baudrillards. Hierin kann sowohl die kreative Stärke als auch die konzeptionelle Schwäche der gesamten Publikation gesehen werden: Viele unterschiedliche Theorien und Thematisierungen werden angerissen, eine Einbettung in eine übergeordnete Konzeptionalisierung bleibt offen.
Grob gliedern die Herausgeber das Sammelwerk in drei Themenbereiche: Produkte, Kontexte und Medien der Inszenierung.
Unter der Überschrift "Produkte" geht es um die Herstellung von Bedeutungen, die an bestimmten Orten inszeniert werden. Claudia Wucherpfennig richtet ihr Augenmerk auf die Bahnhöfe in Deutschland, die seit den 1990ern zunehmend als multifunktionale Dienstleistungs- und Konsumzentren gestaltet werden. Basierend auf einer Analyse von Pressemitteilungen, Werbespots und Informationsbroschüren der Deutschen Bahn schildert sie die drei wichtigen Epochen der Bahn seit den 1870ern bis heute und umreißt die Komponenten des "Mythos Bahnhofskultur". Die Industriekultur im Ruhrgebiet wird von Achim Prossek anhand eines Kulturfestivals, der Ruhrtriennale, dargestellt. Schon durch die Etablierung des Emscher Parks in den 1990er Jahren wurden aus den ehemaligen Orten des Bergbaus und der Stahlindustrie thematisch inszenierte Erinnerungsorte. Auf der dünn anmutenden empirischen Basis von zwei Programmheften der Ruhrtriennale zeigt Prossek, wie der Strukturwandel im Ruhrgebiet sowie eine positive Entwicklung der Region mittels kultureller Veranstaltungen vorangetrieben werden soll. Den dritten Beitrag in dieser Rubrik liefert Heike Egner. Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit sind die Komponenten der thematischen Inszenierung von Canyon Country im Südwesten der USA als "Mythos ‚West'". Akteure in diesem Inszenierungsprozess sind sowohl Mythen-Erbauer (wie Bergbau-Unternehmer, Goldsucher, Schriftsteller und Filmemacher) als auch Touristen (wie moderne Freizeitabenteurer, "Cowboy-Urlauber" und Spiritualisten).
Egal ob Bahnhof, Ruhrgebiet oder Canyon Country: Alle drei Aufsätze dieses Abschnittes liefern anschauliche und eingängige Beispiele thematisch inszenierter Orte. Leider wird auf die überspannende Klammer der (produzierten) Themenorte lediglich im Aufsatz von Egner kurz verwiesen - eine theoretisch fundierte Einordnung in die Thematik sowie begriffliche und konzeptionelle Abgrenzungen vieldeutiger Phänomene wie beispielsweise des "Mythos" bleiben aus.
Die folgenden vier Beiträge beleuchten im Abschnitt "Kontext" die Bandbreite von strategischen Entscheidungen, aus der durch Prozesse des Ein- und Ausschließens unterschiedliche Themenorte entstehen. Sabine Hafner wendet ihren Blick auf Orte, die jenseits der bürgerlichen Norm(al)vorstellungen anzusiedeln sind und häufig mit Begriffen wie "minderwertig" und "mangelhaft" assoziiert werden. Anhand von Experten- und biographischen Interviews mit Bewohnern von Großwohnsiedlungen arbeitet sie heraus, wie aus den Vierteln durch Ausgrenzungsprozesse in Form von Sprache und Symbolen sowie durch Stigmatisierungen Ghettos entstehen und welche Folgen das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" für jene Siedlungen hat. Der Beitrag von Thomas Jekel und Franz Huber führt nach Salzburg und schildert, wie sich im Laufe der Jahrhunderte die der Stadt zugeschriebenen Attribute von der "schönen Stadt" der Romantiker bis hin zur "barocken Stadt" ab den 1930ern geändert haben und welche Medien dafür verantwortlich sind. Nach dieser durch eine Reihe von Brüchen gekennzeichneten Zeit etabliert sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein hegemonialer Diskurs, der durch Vertreter aus Wissenschaft, Kunst und Politik im Kontext von Altstadterhaltung und Weltkulturerbe immer wieder aktualisiert wird. Michael Flitner schreibt anhand des "bekanntesten Nationalparks der Welt" über einen - so seine These - internationalen, filmischen Themenort: die Serengeti. Empirische Grundlagen seiner Analyse bilden das in den 1960er Jahren verfasste Buch sowie der zeitgleich gedrehte Dokumentarfilm von Bernhard und Michael Grzimek. Die Serengeti wird durch diese Werke für Flitner zu einem postkolonialen Erinnerungsort. Sowohl im Buch als auch im Film werden durch historische Verschiebungen, Überblendungen und Löschungen die (immer vorhandenen) politischen Komponenten der Erinnerung deutlich. Mit ganz anderen Fragen, nämlich: Wie werden Ernährungslandschaften konstruiert - oder wie kommt das Emmental in den Emmentaler Käse? beschäftigt sich Eva Gelinsky in ihrem Beitrag über Slow Food und regionale Vielfalt im Nahrungsmittelbereich. Anhand von Artikeln einer internationalen Fachzeitschrift über Käsesorten in verschiedenen Regionen Italiens, Großbritanniens und der USA arbeitet sie heraus, dass die Konstruktion einer idealtypischen Ernährungslandschaft auf der harmonischen Einheit zwischen Mensch und Natur basiert. Hierfür wichtig sind beispielsweise lokale Traditionen, unberührte Landschaften sowie behutsame und handwerkliche Produktionsweisen, die natürlich im Gegensatz zu homogenisierten, pasteurisierten und standardisierten Ernährungslandschaften stehen.
Waren im ersten Abschnitt die gewählten Orte "eingängiger" als Themenorte zu identifizieren, so fällt dies in der zweiten Rubrik bei manchen Beispielen - wahrscheinlich auch weil innerhalb der Aufsätze keine theoretische Einordnung zu finden ist - schon schwerer. Steht der Prozess der Ghettobildung, der natürlich immer mit Bedeutungs- und Wertzuschreibungen verbunden ist, mit einer gezielten Inszenierung eines Stadtviertels in Verbindung? In welchem Zusammenhang stehen die Diskursgeschichten über Salzburg und das Konzept der Erinnerungsräume von Assmann 1999 - auf das lediglich in einem Satz verwiesen wird? Wird wirklich die Serengeti als Themen- und Erinnerungsort (auch hier fehlt ein Theoriebezug!) beleuchtet - oder geht es in dem Aufsatz nicht vielmehr um den Film und das Buch der Grzimeks als Erinnerungsraum? Und warum sind die Landschaften Italiens, Englands und der USA thematisch als Ernährungslandschaften zu bezeichnen und nicht beispielsweise als Erholungs- und Tourismuslandschaften?
In die Rubrik "Medien" fallen abschließend Beiträge, die sich mit den Funktionsweisen unterschiedlicher Repräsentationsmittel bei der Herstellung und Durchsetzung verschiedener Themenorte beschäftigen. Den ersten Aufsatz liefert Sven Richter, der in der Inszenierung von Orten im "neuen" Berlin eine Umdeutung zu Themenorten identifiziert. Richter untersuchte 2002/2003 anhand von bildlichen und textlichen Elementen auf 200 Bauschildern und Marketingtafeln die Elemente, Bildpraxen und Themen von Objektmarketing. Seine These ist, dass anhand dieser Vertriebstafeln kollektive Images hergestellt werden, die eine strategische Thematisierung der Berliner Mitte bewirken. Mit einer thematischen Neu- oder Wiedererschaffung im Kontext der Erneuerung eines Glasgower Stadtviertels, den Gorbals, setzt sich Julia Lossau auseinander. Das ehemals angesehene Wohnquartier der Mittelschicht entwickelte sich ab Mitte des 19. Jh. zum Sinnbild britischer Slums, wurde in den 1980ern abgerissen und wieder neu aufgebaut. Anhand eines dort errichteten Kunstobjektes fragt Lossau nach den Bildern, die im aktuellen Stadtentwicklungsprozess der Gorbals eingesetzt bzw. produziert werden und diskutiert deren Auswirkungen auf das Viertel. Michael Hoyler und Heike Jöns machen sich im abschließenden Aufsatz der Publikation Gedanken zu Konstruktion, Rezeption und Bedeutung von bildlichen Repräsentationen und führen das Konzept des Ikonoklasmus in die geographische Diskussion um symbolisch aufgeladene Orte ein. Aufhänger hierfür ist die Zerstörung zweier monumentaler Buddhastatuen mit großer kulturhistorischer Bedeutung Anfang 2001 im Bamiyan-Tal/Afghanistan. Anhand dieses Beispiels betonen die Autoren, dass auch bei der Auseinandersetzung mit Themenorten immer die zeitlichen und räumlichen Dimensionen der Repräsentation zu berücksichtigen sind und jede Destruktion auch konstruktive Elemente - und umgekehrt - beinhaltet.
Ob Bauschilder oder Skulpturen: Repräsentationen stützen, wie alle drei Beispiele gut belegen, die Zuschreibung von Bedeutungen. Dass die Darstellungen als Identität stiftendes Medium fungieren können und hierfür nicht dauerhaft vorhanden sein müssen, wird anhand des Objektmarketings in der Berliner Mitte, des Gatekeeper-Kunstwerks der Gorbals sowie der gesprengten Buddhastatuen im Bamiyan-Tal deutlich. Besonders der Beitrag von Hoyler und Jöns arbeitet dieses Phänomen auch auf theoretischer Ebene anschaulich heraus.
Insgesamt liefert der Sammelband mannigfaltige empirische Beispiele von thematisch besetzten Orten und somit eine interessante Bandbreite, anhand derer man über Themenorte nachdenken kann. Jedoch erscheint das Konzept der Themenorte in seiner Heterogenität in meinen Augen zu weit gefasst. Aus einer handlungsorientierten sozialgeographischen Perspektive, die davon ausgeht, dass Menschen Orten immer eine bestimmte Bedeutung zuweisen, bleibt zu fragen, ob es überhaupt Orte gibt, die nicht als Themenorte angesehen werden können. Vertritt man zudem wie Plessner 1979 die Auffassung, dass Inszenierung eine anthropologische Grundkonstante ist, führt auch das Kriterium des "Erscheinenlassen" - egal ob ökonomisch, politisch oder funktional motiviert - hier kaum zu einer theoretischen Schärfung. Vielleicht sollte doch vermehrt auf die strategische und zielgerichtete Komponente der thematischen Inszenierung geachtet werden.
Kurz: Die Publikation liefert vielfältige Einsichten in unterschiedliche Themenorte und stellt eine gute Diskussionsgrundlage für die Thematik dar. Theoretische Anknüpfungs- und Überschneidungspunkte werden leider nur kurz angerissen und das formulierte Konzept bleibt vage. Insgesamt regt der Sammelband seine Leser an, an einer Schärfung des theoretischen Konzeptes der Themenorte mitzudenken.
Autorin: Sandra Petermann

Quelle: Geographische Zeitschrift, 94. Jahrgang, 2006, Heft 3, Seite 178-180