Drucken
Kategorie: Rezensionen

Ivo Mossig: Netzwerke der Kulturökonomie. Lokale Knoten und globale Verflechtungen der Film- und Fernsehindustrie in Deutschland und den USA. Bielefeld 2006. 226 S.

Christian Hartmann: Die Lernfähigkeit von Clustern. Eine theoretische und empirische Betrachtung. Graz 2006 (Schriftenreihe des Institutes für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research 6). 202 S.

Die beiden vorliegenden Arbeiten liefern wichtige konzeptionelle und empirische Beiträge, insbesondere zur fortgeschrittenen Clusterdiskussion in der Wirtschaftsgeographie.

Die Habilitationsschrift (Universität Gießen) von Ivo Mossig betrachtet das Segment der Film- und Fernsehproduktionen in Deutschland und den USA aus drei konzeptionellen Perspektiven: Unter Clustergesichtspunkten hinterfragt er die räumlichen Konzentrationen der Branche (Bsp. Köln und München), bevor er deren globale Verflechtungen in Zusammenhang mit dem globalen Zentrum der Filmproduktion, Los Angeles, analysiert. Besonderes Augenmerk gilt ferner den entscheidenden Steuerungsmechanismen innerhalb der betrachteten Wertschöpfungsketten. Nach einer profunden Einführung in die wichtigsten Charakteristika und die jüngere Entwicklungsdynamik der untersuchten Branche liefert Mossig einen theoretisch-konzeptionellen Überblick zu den vorgenannten Perspektiven, der gleichermaßen von deren Durchdringung wie der Kenntnis ihrer Reichweiten zeugt. Insbesondere der Abschnitt über Steuerungsmechanismen stellt eine elegante konzeptionelle Verknüpfung zwischen den "lokalen Knoten" und deren "globalen Verflechtungen" her, die für die weitere Analyse tragend wird (s. u.).
Christian Hartmanns Arbeit ist im Kontext des Instituts für Technologie- und Regionalpolitik, Forschungsgesellschaft Joanneum Research, Graz, entstanden (zugleich Dissertation Universität Graz, 2004) und vor allem volkswirtschaftlich inspiriert. Er geht der Frage nach, wie Wirtschaftscluster bzw. -netzwerke durch Lernen einer "Versteinerung" bzw. "Sklerose" entgehen und langfristig erneuerungsfähig bleiben können. Die empirische Grundlage bildet ein Vergleich von fünf steirischen Branchenclustern, die im Jahr 1999(!) im Auftrag der Steiermärkischen Landesregierung evaluiert wurden. Im theoretischen Teil seiner Arbeit liefert Hartmann zunächst einen Überblick über Cluster-Konzepte, wobei er im Wesentlichen auf Porter und Marshall zurückgreift, deren systemische, an der Praxis des Clustermanagements orientierte Auslegung seines Erachtens noch unterentwickelt ist. Im Weiteren gilt sein Hauptinteresse daher der Schnittstelle zwischen regionalen Clusterkonzepten und Fragen der Anpassungsfähigkeit dieser krisenanfälligen Wirtschaftsstrukturen durch "Lernen". Letzteres wird im Weiteren als die Fähigkeit konzeptualisiert, auf externe "Schocks" zu reagieren und aus Branchenkrisen gestärkt hervorzugehen. Nach Diskussion verschiedener wirtschafswissenschaftlicher, wirtschaftsgeographischer sowie kognitions-wissenschaftlicher Konzepte organisationalen Lernens leitet Hartmann ein eigenes "integratives Modell" zur Beobachtung der Mikroebene von Clustern ab, das auch Aspekte des überbetrieblichen Lernens erfasst. Die für ihn zentralen "Lernsysteme" werden anhand von Indikatoren operationalisiert, die sowohl formell-partizipativen, innerbetrieblichen Lernroutinen als auch informellen, überbetrieblichen Formen des Wissens- und Erfahrungsaustauschs Rechnung tragen.
Beide Arbeiten fußen auf eingehenden empirischen Analysen. Während Hartmann stärker betriebsorientiert (mikroökonomisch) vorgeht und insgesamt 149 Unternehmen der betrachteten Branchen (Automobil, Metall, Holz, IT, Chemie/Pharma) mit einem weitgehend standardisierten Leitfaden persönlich interviewt, erfasst Mossig in 57 qualitativen Interviews in München und Köln neben Unternehmen auch branchenrelevante Organisationen und Multiplikatoren. Am Standort Los Angeles wurden 26 Akteure auf unterschiedlichen Ebenen der Warenkette zwischen dem US-amerikanischen Produktionsstandort und dem deutschen Markt interviewt. Auch hier fand das institutionelle Umfeld Berücksichtigung.
In seinem Ergebnisteil legt Mossig zunächst die spezifische Evolution der "Medienstandorte" Köln und München dar, bevor er die in den Projektnetzwerken vorherrschenden Steuerungsmechanismen identifiziert. Die so ermittelten Machtformen ("Macht durch Überlegenheit und Stärke", "Macht und Einflussnahme durch Beziehungen" sowie "Macht in Form von kollektiven Ordnungskräften") liefern für beide Standorte plausible Erklärungen für die Bedeutung persönlicher Beziehungen und räumlicher Nähe im Kontext von Film- und Fernsehproduktionen. Die Betrachtung der Steuerungsmechanismen im Vertrieb amerikanischer Filme auf dem deutschen Markt ermöglicht einen interessanten Perspektivwechsel, der die Major-Filmstudios in Los Angeles als dominierendes Element einer produzentengesteuerten Warenkette identifiziert. Dieses Gewicht verschiebt sich im Falle der so genannten Independent-Produktionen nur geringfügig zugunsten der großen Vertriebsfirmen.
Mossig leistet hier zweifelsohne einen fundamentalen Beitrag zum besseren Verständnis der Funktionsweise, Steuerungsmodi und räumlichen Organisation der so genannten Kulturökonomie.
Die vergleichende Perspektive in Hartmanns Studie basiert auf einer detaillierten Analyse der Produktions- und Absatzstruktur der betrachteten Cluster und mündet in "Kooperationsprofilen", die die Bedeutung verschiedener Clusterakteure und Formen des Wissenstransfers herausarbeitet. Diese werden sodann weiter differenziert und interpretiert. Gemäß der standardisierten Erhebung erfolgt diese Auswertung weitestgehend quantitativ und bleibt auf den nominellen Nachweis der Existenz verschiedener informeller und partizipativer Lernsysteme beschränkt, kann jedoch kaum Aussagen zu deren realer Bedeutung und Reichweite machen. Die Studie liefert somit bestenfalls qualifizierte Hinweise auf strukturelle Unterschiede sowie auf mögliche Ansatzpunkte weiterführender qualitativer Betrachtungen.
Die Arbeit von Mossig ist elegant, aber schnörkellos geschrieben und reichhaltig illustriert. Sie ist kompakt und dennoch leicht verständlich formuliert, weshalb sie nicht nur uneingeschränkt zur Lektüre, sondern auch zum Einsatz in wirtschaftsgeographischen Lehrveranstaltungen empfohlen werden kann.
Im Werk von Hartmann stören mitunter repetitive Formulierungen und teils identisch wiederholte Textabschnitte. Dennoch machen die Praxisbeispiele und anwendungsnahen Handlungsempfehlungen es zu einem lesenswerten Beitrag, der weitere wirtschaftsgeographische Forschungsarbeiten inspirieren kann.
Autor: Christian Schulz

Quelle: Geographische Zeitschrift, 94. Jahrgang, 2006, Heft 4, Seite 248-249