Ludger Basten: Postmoderner Urbanismus. Gestaltung in der städtischen Peripherie. Münster 2005. 363 S.

Gerald Wood: Die Wahrnehmung städtischen Wandels in der Postmoderne. Untersucht am Beispiel der Stadt Oberhausen. Opladen 2003. 328 S.

Es ist über ein viertel Jahrhundert her, da konstatierten Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen, dass postmodernes Denken als "affektive Strömung" "in die Poren aller intellektueller Bereiche" eingedrungen sei (Habermas 1981). Für ihren Siegeszug durch die universitären Diskurse und die Feuilletons hatte diese intellektuelle Strömung 10 Jahre gebraucht, folgt man dem Architekturkritiker Jencks (1978), der die Postmoderne 1972 recht spektakulär mit der Sprengung eines modernen Wohnblocks datiert. Inzwischen hat sich der aufgewirbelte Staub wieder gelegt und um die Postmoderne ist es ruhig geworden. In den Gesellschaftswissenschaften ist sie von Begriffen wie "Kultur" und "Globalisierung" von der Hitliste der Themen verdrängt worden, und in der gesellschaftlichen Realität sind eher Fragen des ökonomischen Ausbaus von Standorten, die sich in der internationalen Konkurrenz zu bewähren haben, auf der Tagesordnung. Da verwundert es schon, wenn zwei Bücher vorgelegt werden, die die momentan zu beobachtenden Stadtentwicklungsprozesse wieder explizit mit dem Gedankengebäude des Postmodernismus in Verbindung bringen.

Gerald Wood stellt in den Mittelpunkt seiner Arbeit die Untersuchung der "Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung" des ökonomischen Strukturwandels und dessen Auswirkungen auf Stadtumbau und Stadtbild am Beispiel der Ruhrgebietsstadt Oberhausen durch die "hier ansässige Bevölkerung" (99). Der Darstellung dieser eher handlungs- und wahrnehmungstheoretisch orientierten Untersuchungsergebnisse geht ein Rekonstruktionsversuch des Zusammenhangs von Postmoderne (sowohl als Epochenbegriff wie als methodologischer Ansatz) und Stadtentwicklung sowie die Beschreibung und Analyse älterer und jüngerer Stadtentwicklungsgeschichte und -prozesse in Oberhausen voraus.
Eine ähnliche Aufgabe stellt sich auch Ludger Basten. Er nimmt dabei allerdings nicht die ganze Stadt in den Blick; sondern er schenkt seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit der städtischen Peripherie als wesentlichem Entwicklungsfokus urbaner Prozesse. Auch ihn interessiert, wie die Bewohner mit ihren Alltagserfahrungen auf die neuen peripheren Stadtquartiere reagieren, wie sie von ihnen gesehen, erlebt und angenommen werden (Klappentext). Dieser Fragestellung geht er empirisch in zwei Fallstudien nach. Untersucht werden ein städtisches Neubaugebiet am Stadtrand von Potsdam und eine Wohnsiedlung in Surrey im Großraum Vancouvers.
Der empirischen Arbeit stellt der Autor eine Rekonstruktion postmodernen Gedankengutes voran und gelangt auf diese Weise zu einer postmodernen Urbanistik, die ästhetische und alltagsweltliche Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand eröffnen soll: "Hier wird bewusst in den Mittelpunkt gerückt, dass die Stadtgestaltung in der Postmoderne geprägt ist von einer Vielfalt der Bilder, und dass für die Stadtgestaltung auch ästhetische Bilder und Alltagsbilder der Stadtbewohner in ihren jeweiligen Kontexten bedeutsam sind." (68) Neben der Untersuchung der Wahrnehmungsmuster alltagsweltlicher Nutzer - also der Bewohner und von Professionellen, die im Untersuchungsgebiet arbeiten wie Schulleiter, Pastoren etc. - wird auch danach gefragt, welche Rolle die Produzenten - also Bauherren, Architekten usw. - im Entwurfs- und Bauprozess übernehmen und welche Interessen und Gestaltungsvorstellungen sich gegen bestimmte andere durchsetzen und welche nicht.
Wenig befriedigend ist allerdings die Art und Weise, wie das empirische Vorgehen begründet wird. Unklar bleibt dabei, warum Untersuchungs-Gegenstand und Untersuchungs-Perspektive erst in der Postmoderne diesen zwingenden Zusammenhang gewinnen, wie er vom Autor unterstellt wird. Warum sind ästhetische Betrachtungen und die Berücksichtigung von Alltagserfahrung in vor-postmodernen Zeiten kein geeigneter Zugang zu Phänomenen der Realität, so könnte man fragen. Obwohl der Autor es vermeiden will, fällt er auf das herein, was ich an anderer Stelle (Becker 1996) als ontologischen Trick bezeichnet habe: Die Wirklichkeit selber ist die entscheidende Referenzgröße, die zu einem sie entsprechenden Ansatz, einer angemessenen Perspektive, einer adäquaten Methodologie etc. führt.
Von Wood wird dieses methodologische Vorgehen noch einmal postmodern überholt, wenn er davon ausgeht, dass "eine durch Menschen interpretierte Welt ... nur von dem verstanden (werden kann), der sie in ähnlicher Weise interpretiert", und "dass eine von den Gesellschaftsmitgliedern konstruierte Realität nur durch den Einsatz entsprechender Methoden angemessen erfasst werden kann". Auch hier sollen sich Erkenntnisgegenstand und Erkenntnismethode unmittelbar entsprechen (102).
Basten fasst in seinem Fazit die Erkenntnisse der Arbeit folgendermaßen zusammen: "Ist die postmoderne Urbanisierung der Peripherie das 'Ende der Stadt'? Ja und nein. Ist historische Stadtgestaltung (in 'Zentrum' und 'Peripherie') postmodernistisch? Ja und nein. Ist Kommerzialisierung der Ästhetik und der Stadtgestaltung politisch? Ja und nein. Ist das Streben nach Identität, Identifikation und 'Community' konservativ? Ja und nein. Ist Entpolitisierung ein Kennzeichen der Postmoderne? Ja und nein. Sind Kontextualisierungen (als Relativierung) und damit auch der postmoderne Urbanismus entpolitisierend? Ja und nein. Ist Postmodernismus reaktionär oder progressiv? Sowohl als auch oder weder noch." (342/343, Hervorhebungen im Original). Nach 340 Seiten dürfte dieses Fazit nicht gerade ein befriedigendes Ergebnis sein (zumindest für jemanden, der an einem "modernen" Wissenschaftsverständnis festhält). Dieses "sowohl-als-auch" und "weder noch" scheint denn auch direktes Ergebnis postmoderner Methodologie zu sein. "Auf der theoretischen Ebene betont der postmoderne Urbanismus das Prinzip, alle Epistemologien und Methodologien zu hinterfragen, weil diese stets bestimmte Darstellungen von Realität hervorbringen. Das gilt zunächst für alle 'Ergebnisse' wissenschaftlicher Arbeit, also auch für die hier konstruierten Darstellungen und Kontextualisierungen selbst. Es gilt aber ebenso für die Mechanismen ihrer Produktion." (340, Hervorhebungen im Original)
Der wissenschaftsskeptische Blick, der hier beim postmodernen Methodologisieren zum Ausdruck kommt, hätte es verdient, auch auf das eigene methodische Vorgehen angewandt zu werden. Im übrigen ist dieser Skeptizismus ja auch kein Privileg des Postmodernismus. Selbstverständlich bringen bestimmte Methodologien bestimmte Ergebnisse hervor - wie sollte es auch anders sein? Ist das nicht der übliche Selbstbezüglichkeitszirkel, der in jeder Form von Forschung steckt? Hängt es denn nicht von der theoretischen Perspektive ab, welche realen Phänomene in welcher Weise gesehen und analysiert werden können, und ist nicht umgekehrt die Art und Weise, in der spezifische Gegenstände beschrieben werden, eine Prüfung des Problemlösungspotentials von Theorie? Sind Wirklichkeitsbeschreibungen und Tatsachenfeststellungen nicht immer abhängig von der Beobachtungsweise und den Unterscheidungen, die in sozialwissenschaftlicher Forschung Verwendung finden? Wenn man diesem Sachverhalt Rechnung tragen will, sollte man dann nicht eigentlich versuchen, die theoretischen Vorannahmen und Voraussetzungen so offen und transparent wie möglich zu gestalten und Begriffe und Entscheidungen auszuweisen, die mit entsprechenden Folgen auch geändert werden können? Und genau das scheint mir im Hinblick auf die methodischen Entscheidungen bei beiden hier besprochenen Arbeiten problematisch zu sein.
Im Mittelpunkt der Arbeiten von Wood und Basten steht die Frage, wie postmoderner Stadtumbau von der Bevölkerung wahrgenommen wird. Beide Autoren bedienen sich bei der Bearbeitung dieser Fragestellung qualitativer Interviews mit Bewohnern der Untersuchungsgebiete. Die als narrative Interviews angelegten Gespräche wurden transkribiert und in einem "mehrstufigen Interpretationsverfahren" (Basten, 76) ausgewertet. Dem Leser werden die Ergebnisse präsentiert, indem beide Autoren ihre jeweils an bestimmten inhaltlichen Themen orientierten Interpretationen mit den entsprechenden Zitaten aus den Transkriptionstexten bebildern. Eine Begründung der Auswahlentscheidungen, warum die jeweiligen Textstellen abgedruckt werden und andere nicht, wird nicht gegeben. Vielmehr wird unterstellt, dass die wiedergegebenen Texte für sich selber sprechen und vom Wissenschaftler nur noch interpretiert werden müssen. Dabei ist ein begründbarer Selektionsmechanismus eigentlich nur in der Ambition der beiden Autoren zu erkennen, ihre Interpretationen von Wahrnehmungsweisen und Wirklichkeitserfahrungen bei den Probanden mit Textstellen aus den Interviews zu belegen. Die Interviewtexte, zumindest diejenigen, die dem Leser zugänglich gemacht werden, bekommen dadurch eine geradezu merkwürdig anmutende Sterilität und schrecken auch vor dem Aufgreifen gängiger Klischees nicht zurück (etwa wenn Wood Eigenarten der Ruhrgebietssprache wie das bekannte "dat" und "wat" thematisiert). Es ist schwer vorstellbar, dass wirkliche Menschen in Gesprächen Meinungen und Auffassungen zu ihrem Lebensumfeld in der in den Interviewausschnitten dargebotenen Form vertreten, noch schwieriger ist es, sich vorzustellen, dass hier ihre tatsächlichen Ansichten zum Ausdruck kommen. Man könnte hingehen und einmal ausprobieren, welche Ergebnisse man erzielen würde, montierte man die einzelnen Belegstellen in einer anderen Reihenfolge oder in einen anderen thematischen Zusammenhang. Es wäre nicht überraschend, käme man zu Ergebnissen, die den vorliegenden genau entgegengesetzt wären (ein solches Ergebnis würde dann allerdings Bastens "sowohl als auch" und "weder noch" entsprechen).
Seltsamerweise kommen beide Autoren nicht auf die Idee - trotz aller Beteuerungen, die unterschiedlichsten Methoden und Ansätze zu berücksichtigen, also einen relativistischen, pluralen Erkenntnisstil betreiben zu wollen -, das methodische Design ihrer Untersuchungen einmal selbst unter die Lupe zu nehmen. Mit keiner Silbe ziehen sie in Betracht, dass das, was sie als Ergebnisse ihrer Untersuchungen präsentieren und als mögliche Interpretationen von Ausschnitten der Wirklichkeit gelesen haben wollen, wirklich nichts anderes ist als ein Ergebnis ihres wissenschaftlichen Tuns. Dass sie nämlich nicht die Wirklichkeit untersuchen, sondern durch ihre Interviews lauter Artefakte schaffen; und diese Artefakte werden dann über ihre Interpretationen als Wirklichkeitsbeschreibungen ausgegeben.
Demgegenüber wäre es angebracht, ernsthaft die Frage zu diskutieren, ob die von den Autoren formulierten Erkenntnisziele durch den Einsatz narrativer Interviews überhaupt zu erreichen sind. Wenn es darum gehen soll, gesellschaftliche Auswirkungen von (Post-)Modernisierungsprozessen zu analysieren, sollte man dann nicht (auch) die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um eben diese Modernisierungsprozesse in den Blick nehmen, anstatt sie auf der Ebene befragter Individuen festzumachen? Haben wir es bei einer solchen Methodenauswahl und den getroffenen methodischen Entscheidungen nicht eher mit Psychogeographie als mit Sozialgeographie zu tun? Aber selbst wenn man Psychogeographie betreiben wolle, ist der gewählte Ansatz verfehlt, weil die persönlichen Ansichten von Individuen zu etwas Gesellschaftlichem montiert werden und die Rekonstruktion individueller Meinungen nicht ernsthaft angestrebt wird. Müssten nicht bei einer wissenschaftlich ambitionierten Darstellung von Sichtweisen und Meinungen die Beeinflussungen, Überformungen, Verklärungen, Bewältigungen, Verluste usw. zur Sprache kommen, die erst die Anschauungen, Wahrnehmungen, Denkformen und Denkweisen der befragten Gesprächspartner zum Ausdruck bringen und historisch/gesellschaftlich erklären könnten?
Trotz aller Kritik an theoretischer Fundierung und empirischer Umsetzung lassen sich die Arbeiten - insbesondere die von Basten - mit einigem Gewinn lesen. Ignoriert man einfach das postmoderne Methodologisieren und folgt nicht den Schlussfolgerungen, die aus den narrativen Interviews gezogen werden, erfährt man viel Wissenswertes über Stadtumbau in den letzten Jahren.
Literatur
Becker, Jörg 1996: Geographie in der Postmoderne? Zur Kritik postmodernen Denkens in Stadtforschung und Geographie. Potsdam (= Potsdamer Geographische Forschungen 12).
Habermas, Jürgen 1981: Die Moderne - ein unvollendetes Projekt. In: Jürgen Habermas: Kleine politische Schriften I - IV. Frankfurt a.M. S. 444-464.
Jencks, Charles 1978: Die Sprache der postmodernen Architektur. Stuttgart.
Autor: Jörg Becker

Quelle: geographische revue, 8. Jahrgang, 2006, Heft 1, S. 53-57