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Kategorie: Rezensionen

Interaktiv durch Europa. Das große Geografielernspiel für Schülerinnen von 10 bis 15 Jahren. CD-ROM. Linz 2005.

"Spielend lernen" - die im Titel der CD-ROM "Interaktiv durch Europa" anklingende Formel lässt Pädagogen stets aufhorchen, sieht man darin doch nicht nur ein probates Mittel zur abwechslungsvollen und kreativen Unterrichtsgestaltung, sondern auch zur effektiven Initiierung von Lernprozessen. Die Hoffnung auf Letzteres wird durch das mitgeführte Prädikat "interaktiv" zusätzlich genährt. Grund genug also zu fragen, welche didaktischen Ziele speziell des Erdkundeunterrichts sich mithilfe der Software verwirklichen lassen.
"Interaktiv durch Europa" wurde für die Altersgruppe der 10-15jährigen konzipiert und stellt damit einen konkreten Bezug zum Lernfeld Europa, das z. T. spiralcurricular in den Lehrplänen dieser Schülerinnen und Schüler an unterschiedlichen Schulformen angesiedelt ist, her.
Der spielerische Rahmen der Software wird durch eine brettspielähnliche Konzeption abgesteckt, bei der es gilt, sich mit der Beantwortung von Wissensfragen zu Gesamteuropa oder zu einzelnen Ländern zu bewachten Burgtoren vorzuarbeiten, an denen der Einlass entweder durch die Entrichtung eines Wegezolls in Form bisher angehäufter "Wissenstaler" oder durch die Beantwortung von "Expertenfragen" erwirkt werden kann. Gelingt dies, so wird der Spieler - bis dahin einfacher "Schatzsucher" - in die "Schatzmeisterordnung" der Burg aufgenommen und hat die Wettbewerbschance aufgrund seines im Laufe des Spiels erworbenen Punktestands den Schatzmeisterposten zu bekommen. Gelingt dies nicht, so wird der Spieler disqualifiziert: Seine Punkte verfallen und die Runde ist für ihn ohne Ergebnis beendet.
Dieser Spielcharakter verleiht der Lernumgebung phantasieorientierte Motivationsimpulse, lässt allerdings den inhaltlichen Bezug zu den Gegenständen des Themas vermissen, denn die Schatzsuchertätigkeit assoziiert in erster Linie Abhängigkeit von Zufall und Glück und nicht von systematisch zu erwerbendem Wissen. Dieser Charakter wird dadurch verstärkt, dass der Einzug in die Burg letztlich nicht ausschließlich vom erarbeiteten Wissensstand abhängig gemacht wird, sondern - sofern sich der Spieler risikofreudig zeigt - von der Beantwortung der Expertenfragen. Damit kann die Verwirklichung des angestrebten Spielziels an einer einzigen falschen Antwort scheitern. Das übergeordnete Ziel, einen "äußerst fähigen und intelligenten Schatzmeister" im Dienste von "hocherlauchten Regenten" für die "Verwaltung unseres Kontinents" abzugeben, bleibt zudem sehr abstrakt sowie unverbindlich im Hinblick auf lebensweltliche Bezüge. Inhaltlich gesehen wird die räumliche Ebene der europäischen Länder einheitlich durch sechs verschiedene Themen strukturiert: Orientierung, Basisdaten, Geographie, Politik und Bevölkerung, Wirtschaft sowie übergreifend ein Expertenquiz. Lediglich der Arbeitsbereich Gesamteuropa ist etwas anders aufgebaut; in der Hauptsache geht es hier um Topographie und um den Schwerpunkt EU. Die Aufzählung der Themen zeigt schon, dass es bei "Interaktiv durch Europa" nicht ausschließlich um topographische Kenntnisse geht. Vielmehr - und das ist eine klare Stärke des Spiels - handelt es sich um eine kleine Datenbank mit den wichtigsten Strukturdaten zu Europa und seinen Ländern. Prinzipiell ist sie auch für Recherchen zu weiteren Geographiethemen einsetzbar, allerdings ist die Abrufbarkeit von Informationen nicht ohne ein Eintreten in den Spielablauf möglich, sodass ein diesbezügliches Arbeiten nur mit einer methodischen Akzentverschiebung gelingen kann und die Stringenz der Aufgabenstellung durch diese Zweigleisigkeit nicht mehr unbedingt gegeben wäre.
Wie ist es nun um die Gestaltung von Lernprozessen bestellt? Am Beispiel des Arbeitsbereiches "Orientierung" auf der Länderebene wird dazu der Spielablauf verfolgt: Der Spieler bekommt zunächst bei automatischen Einblendungen der Ländernamen einer europäischen Teilregion einen Beobachtungsauftrag. In den nächsten Schritten müssen der entsprechende Ländername, in dessen Arbeitsbereich man sich befindet, in die Karte eingetragen und die Nachbarstaaten benannt werden. In ähnlicher Weise werden im Spielverlauf Städte, Flüsse und Gebirge thematisiert, wobei es zu Wiederholungen dieser Schwerpunkte im Laufe einer Spielrunde kommt. Dazwischengeschaltet sind (ohne Bezug zum aktuellen Thema) kleine Memoryspiele oder einfache Kopfrechenaufgaben, mit deren Hilfe man den Punktestand aufbessern kann. Bevor es dann auf die Schlüsselfelder zum Eintritt in die Burg geht, lässt sich der Punktestand ein weiteres Mal durch gesamteuropäisch ausgerichtete Fragen auf sog. Hoffnungsfeldern verbessern.
Der Spielablauf verfolgt damit ein einfaches und gängiges lernmethodisches Prinzip: Das zu erarbeitende Wissen kann zunächst selbständig recherchiert werden, dann erfolgt die Überprüfung des Lernerfolgs. Abgesehen davon, dass damit nur bestimmte Lernertypen angesprochen werden, setzt auch das Tempo der Abfolge dieser beiden Schritte eine enorme Merkfähigkeit voraus - oder aber gewisse Vorkenntnisse. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so steht zu befürchten, dass Misserfolgserlebnisse dominieren und dazu führen, dass Motivation abgebaut wird. Durch die Geschlossenheit der Spielschrittabfolge (es gibt generell und vor allem in der Lernphase keine Wiederholungsfunktionen!) und die relativ lange Dauer einer Spielrunde ist der inhaltliche Vermittlungs- und Übungscharakter des Spiels nur bedingt gegeben.
Als Fazit lässt sich festhalten:
"Interaktiv durch Europa" bietet in ansprechend gestalteter Weise eine Menge geographisches Fachwissen an und ist durch seine raum- und themenbezogene Differenzierung dieses Wissens kompatibel zu Unterrichtseinheiten zum Thema Europa für die angesprochene Altersgruppe. Der Schwerpunkt eines gezielten Einsatzes im Rahmen solcher Unterrichtseinheiten dürfte allerdings eher im Bereich der Wissenskontrolle liegen. Lernprogrammähnliche Elemente, mit deren Hilfe neues Wissen erzeugt und geübt werden kann, oder informationssystemähnliche Elemente, mit deren Hilfe lernzielindividualisiertes selbstständiges Arbeiten möglich ist, sind zwar vorhanden, können aber wegen des strukturgebenden Wettbewerb- und Spielcharakters nicht genügend zielgerichtet für den Unterricht genutzt werden.
Autor: Hans-Jürgen Hofmann

Quelle: geographische revue, 8. Jahrgang, 2006, Heft 1, S. 57-59