Pun Ngai u. Li Wanwei: dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen. Berlin u.a. 2008. 257 S.

»In der Fabrik läuft alles zu streng ab. Sie schränken die Bewegungsfreiheit ein. Es istabsolut seelenlos.« (35) Disziplinierung und Kontrolle, Sinnentleerung und der rücksichtslose Raubbau an ihren intellektuellen und körperlichen Kräften warten auf die dagongmei, die »arbeitenden Schwestern«, die in Chinas Exportzonen Konsumgüter für den globalen Markt montieren, löten, nähen und kleben. Obwohl die Löhne niedrig und die Gesundheitsrisiken hoch sind, brechen sie und weitere 150 bis 200 Millionen Menschen alljährlich aus den inneren Provinzen in Richtung Küste auf. In kommentierten Interviews geben die dagongmei selbst Einblick in ihre Motivationen, Hoffnungen und Erfahrungen, die sie mit dem Leben als Arbeitsmigrantinnen verbinden. Die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Entwicklung Chinas bringen sie als eine Zerrissenheit zwischen ödem Landleben und der Knochenschinderei in den städtischen Fabriken, konfliktbeladene Bearbeitung von Geschlechteridentitäten, Konfrontation mit dem Fabrikregime und den staatlichen Behörden zum Ausdruck.
»Jeder Mensch will, dass es ihm oder ihr immer etwas besser geht« (41), und wie ihreKolleginnen hat A’fang von einem anderen Leben in den schillernden Metropolen gehört und die eintönige Hausarbeit und Enge der Familie endgültig satt. Weil der überwiegende Teil der Wanderarbeiterinnen eine halbproletarische Existenz auf der Basis agrarischer Subsistenzwirtschaft führt, ist es nicht primär blanke ökonomische Notwendigkeit oder gar Folge einer zur historischen britischen Allmende-Einhegung analogen Expropriation, die sie und ihre Kolleginnen in die Städte treibt. Vielmehr spielt das Bedürfnis, in der Stadt etwas zu erleben, »Spaß zu haben« und selbstständig über das eigene Leben verfügen zu können, durchweg eine zentrale Rolle.
Doch die erhoffte Autonomie wird mit der Fabrikarbeit einem Prozess der Vereinzelung und Neuzusammensetzung unter Maßgabe kapitalistischer Verwertungslogik unterworfen. Wenn die jungen Frauen einen Arbeitsplatz finden, werden sie meist in Wohnheimen untergebracht, die der Kontrolle der Fabrikleitung unterliegen. Diese sind das Beiwerk zur taylorisierten Fließbandproduktion, das es ermöglicht, die Zuschneidung menschlicher Lebensäußerung auf verwertbare Arbeit über den unmittelbaren Produktionsprozess hinaus zu verlängern: »Wenn die transnationale Produktion in den chinesischen Städten auf die Arbeitsmigranten trifft, besteht ihre Hauptaufgabe darin, junge, bäuerliche Körper in industrialisierte, produktive Arbeiterinnen zu verwandeln, in dem anscheinend universellen Projekt, Arbeitskraft zu disziplinieren.« (201) Um die Bedeutung der Kasernierung der Arbeiterinnen für den kapitalistischen Verwertungsprozess hervorzuheben, spricht Pun Ngai auch vom dormitory labour regime.
Mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen und giftige Werkstoffe nötigen den Arbeiterinnen trotz repetitiver Tätigkeiten bei Arbeitszeiten von 14 Stunden oder mehr höchste Aufmerksamkeit ab. Die Linienaufseher schrauben die Taktung des Fließbandes stetig herauf, Verletzungen und sogar Todesfälle durch Überarbeitung werden bewusst in Kauf genommen.
Im Westen in den 1960er Jahren ausrangierte Maschinerie und der Unwille ihres Chefs, für die Behandlungskosten aufzukommen, hat A’xiu so einen Finger gekostet. Jetzt fürchtet sie, dass die Arbeit ihre Lebensplanung zerstört hat: »Was konnte ich mit einer verstümmelten Hand schon anfangen? [...] Bei der Suche nach einem Mann hätte ich die Wahl gehabt. [...] Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch heiraten kann.« (117) Im Durchschnitt heiraten Frauen in China mit Mitte Zwanzig. Die Arbeit in der Stadt ist für die dagongmei oft eine Flucht aus einer bestehenden oder arrangierten Ehe oder, wie für A’xiu, eine periodische Unterbrechung des Landlebens, in das sie mit der Heirat zurückkehren.
Doch die Arbeiterinnen sind nicht die duldsamen Mädchen mit den flinken Händen, die vom Kapital imaginiert werden. »Du musst deine Würde behalten. Geld ist eine Sache, Würde eine andere. Würde ist wichtiger als Geld.« (47) Die dagongmei werden für weniger und langsamere Arbeit, höhere Löhne, Abfindungen oder Entschädigungen, aber auch für die
Verbesserung der Lebensqualität in den Wohnheimen aktiv. Sie organisieren offene Arbeitsniederlegungen und Petitionen, informieren sich über das Arbeitsgesetz und beschließen spontane Bummelstreiks. Gibt es Proteste größeren Ausmaßes, die nicht durch betriebsinterne Einschüchterung und Drohungen der Geschäftsleitung erstickt werden können, schaltet sich meist die lokale Arbeitsverwaltung ein. Qiuyue, die mit ihren Kolleginnen gegen eine Werksverlagerung gestreikt hat, hegt keine Illusionen mehr über die Rolle der staatlichen Behörden: »In diesem Arbeiterkampf ist mir auch klar geworden, wie die Regierungsorgane vorgehen. Sie (die Beamten) wollen die Sache lediglich schnell aus der Welt schaffen, Arbeiter und Kapitalisten sollen sich bloß einigen. Denen ist es egal, ob das Ergebnis gerecht ist oder nicht, Hauptsache, die Angelegenheit ist vorbei. Sie betrachten die Probleme nicht vom Standpunkt der Arbeiterinnen aus.« (169) Doch die Angst vor der Kündigung schwebt über den Protesten und ist oft Hemmschuh einer breiten Solidarität. Auch sind viele dagongmei nur unzureichend über Gesetzgebung und Möglichkeiten des Widerstands informiert. Verf. sind mit den Arbeiterinnen durch ihre Tätigkeit in NGOs in Hongkong und Südchina in Kontakt getreten, in denen sie einen Treffpunkt für Kommunikation und Austausch bieten. Sie stellen sich die Frage nach einer emanzipativen Klassenbewegung in China – aufgrund ihrer globalen  Schlüsselfunktion möglicherweise im Weltmaßstab –, wecken jedoch keine falschen Hoffnungen. Das Besondere ist, dass die betroffenen Subjekte selbst sprechen und so zu einem Verständigungsprozess über die sich verändernde Klassenzusammensetzung und mögliche politische Perspektiven beitragen, der immer noch am Anfang steht.
Zusätzlich zu den Interviews beinhaltet das Buch ein abschließendes Kapitel aus Pun Ngais 2006 erschienener Monographie Made in China. Es bindet die Erfahrungsberichte in einen an E.P. Thompson und Foucault geschulten soziologischen Rahmen ein, der trotz des Bedienens postmoderner Schlagwörter nicht aufgesetzt wirkt. Der Erfahrungsbericht von Li Wanwei
über die Durchführung der Interviews, das Vorwort zur jüngsten Geschichte Chinas sowie das ausführliche Glossar runden das Buch ab. Im Vordergrund des Interesses sollten dennoch die Interviews selbst stehen, die den Blickwinkel von den vielen spekulativen Fragen über Chinas zukünftigen Entwicklungsweg auf die Akteure lenken, die der Motor seiner Geschichte sind.
Autor: Frido Wenten

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 538-540