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Kategorie: Rezensionen

Fred Scholz: Geographische Entwicklungsforschung. Methoden und Theorien. Berlin, Stuttgart 2004. 297 S.

Fred Scholz, Mentor der geographischen Entwicklungsforschung im deutschsprachigen Raum und wissenschaftlicher Förderer der geographischen Zusammenarbeit mit Gesellschaften in Ländern der Dritten Welt hat in der Reihe Studienbücher der Geographie ein Buch mit dem Titel "Geographische Entwicklungsforschung. Methoden und Theorien" vorgelegt. Mit der Publikation wendet sich der Autor explizit an Studierende sowie an Leser und Leserinnen, die am Beitrag der Geographie zur wissenschaftlichen Erforschung von Unterentwicklung und Entwicklung interessiert sind. Dabei geht es FRED SCHOLZ darum, den spezifischen Beitrag der Geographie zur Erforschung von Unterentwicklung und Entwicklung herauszustellen. Die Darstellungsweise ist, entsprechend dem Zielpublikum in hohem Maße an didaktischen Maßstäben orientiert, als außerordentlich gelungen zu bezeichnen.

Dem Verfasser geht es nicht nur darum, eine dichte und differenzierte Beschreibung von materiellen, kulturellen, politischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen der Entwicklungsländer zu liefern, sondern vor allen die Wechselwirkungen und Querbeziehungen von gesetzten Normen mit lebensweltlicher Praxis, geographischer Theorie und empirischer Methode aufzuzeigen. Um diese Wechselbeziehungen argumentativ aufzuzeigen, verwendet der Autor ein formales Prinzip zur Darstellung und Erläuterung seiner Geographischen Entwicklungsforschung: Die Ausführungen sind durchbrochen mit Approaches, die zur Einführung bzw. zur empirischen Situationsschilderung und zur praxisnahen Veranschaulichung von Problemzusammenhängen dienen. Außerdem sind immer wieder Exkurse als erläuternde Querverweise eingeschaltet und die zahlreichen Fallbeispiele ermöglichen als empirische Belege ein konkretes Verständnis der angesprochenen Sachverhalte. Die drei strukturierenden Elemente sind in der publizistischen Gestaltung vom Haupttext abgesetzt und verdeutlichen somit auch optisch das durchgehende Wechselspiel von Praxis, Methode und Theorie. Damit wird bereits zu Beginn deutlich, ohne dass es explizit erläutert wird, Geographie wird nicht nur als empirische Beschreibung und nicht nur als theoretische Lektion verstanden, sondern als Wechselwirkung und Geflecht sowie als Trialog von Praxis, Methode und Theorie, die ein geographisches Verständnis und eine humane Gestaltung der Lebenswelt in Ländern der Dritten Welt ermöglicht. Wie selten in geographischen Arbeiten üblich, bekennt sich FRED SCHOLZ zu normativen Vorgaben und gibt eine eindeutige Definition von Entwicklung: Entwicklung muss heißen "erstens regionsspezifische Überlebenssicherung und zweitens langfristige Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse auf der Basis nachhaltiger Nutzung lokal vorhandener natürlicher und sozialer Ressourcen und unter selbsthilfeorientierter Partizipation der Bevölkerung. Sie muss auf Gleichheit, Freiheit, Menschenwürde, politische/demokratische Beteiligung, Solidarität und (kulturelle) Toleranz gerichtet sein" (S. 18). Damit stellt der Autor Menschen in das Zentrum aller entwicklungspolitischen Überlegungen und aller praktischen und theoretischen Anstrengungen. Aufgrund dieser klaren Aussage, die als Angel- und Ankerpunkt der Bemühungen des Verfassers zu deuten ist, lassen sich die weiteren Ausführungen beurteilen.
Das Lehrbuch ist in fünf Teile gegliedert: Zunächst wird im ersten Teil die Stellung der Geographie innerhalb der entwicklungspolitischen Praxis diskutiert. Danach folgen im zweiten Teil konzeptuelle Überlegungen und theoretische Anmerkungen, die auf die Hintergründe der Gliederung unserer Erde in einen reichen "Norden" und einen armen "Süden" hinweisen. Außerdem wird der interdisziplinäre entwicklungstheoretische Stand der derzeitigen Diskussion in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen vermittelt. Zudem erläutert der Verfasser die räumlichen Strukturen der Unterentwicklung. Im dritten Teil schildert er die methodischen Konzepte und theoretischen Ansätze der Entwicklungsforschung. Dabei setzt F. SCHOLZ Natur, Gesellschaft, Wirtschaft und Raum in Bezug zu Entwicklung und arbeitet die Gemeinsamkeiten in der Vielseitigkeit der geographischen Entwicklungsforschung heraus. Zum Verständnis der zukünftigen Entwicklung unserer Welt trägt die vom Autor selbst konzipierte "Theorie der fragmentierenden Entwicklung" bei. Sie wird im vierten Teil des Buches ausführlich geschildert. Dabei sind Globalisierung, nachholende Entwicklung, globale und lokale Fragmentierung, globale und globalisierte Orte sowie das Konzept der neuen Peripherie grundlegende Begriffe, um die sich diese Theorie zur Erfassung der Entwicklungswirklichkeit der Gegenwart auf unserer Erde ausbildet. Die Darstellung der Perspektiven zukünftiger geographischer Entwicklungsforschung auf den Ebenen der Forschung und der Praxis schließen den Band ab.
Das Buch ist im eigentlichen Sinn des Wortes ein Studienbuch, das über Geographische Entwicklungsforschung in empirischer, theoretischer und praktischer Dimension aufklärt. Nebenbei ist zu erwähnen, dass es dem Verfasser sozusagen "en passant" gelingt, aus der problemorientierten Perspektive der Geographischen Entwicklungsforschung die Physische Geographie und die Anthropogeographie zu integrieren. Nicht die derzeitigen wissenschaftstheoretischen Reflexionen, sondern die praktische, planerische und gestaltende Wechselwirkung der Geographie, wie sie mustergültig von F. SCHOLZ vorgeführt wird, belegt die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der wissenschaftlichen Disziplin Geographie. Wie von einem guten Lehrbuch zu erwarten, ist die Veröffentlichung gut lesbar, übersichtlich gegliedert und mit zahlreichen informativen Graphiken, Tabellen, Skizzen und Karten versehen. Zu Recht formuliert FRED SCHOLZ, dass sich die deutschsprachige Geographie "durch ihre wissenschaftlichen Beiträge in der theoretischen Diskussion und entwicklungspolitischen Praxis" - und wie folgt ist zu ergänzen - national und international in allen wissenschaftlichen Disziplinen und im Geschäft der Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt auf hohem Niveau etablieren konnte. Der Verfasser verschweigt, dass er selbst in hohem Maße mit seiner Forschung und Lehre dazu beigetragen hat. Das vorgelegte Lehrbuch der Entwicklungsforschung von FRED SCHOLZ ist ein weiterer und effizienter Baustein, die Rolle der Geographie in der Scientific Community und in unserer Gesellschaft zu festigen. Das Studienbuch ist allen Studierenden der Geographie und allen an Entwicklungsarbeit beteiligten Personen dringend zur Lektüre zu empfehlen.
Autor: Anton Escher

Quelle: Erdkunde, 61. Jahrgang, 2007, Heft 1, S. 121-122