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Kategorie: Rezensionen

Nicole Klitzsch: Muslimische Rebellen in den Philippinen. Politische Strategien zwischen Djihadismus und Verhandlungstisch. Hamburg 2006 (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg, Band 392). 136 S.

Dem Regionalkonflikt zwischen muslimischer Bevölkerungsminderheit und Staat im Süden der Philippinen (Mindanao und Sulu-Archipel) liegen im Kern nicht religiöse Gegensätze, sondern ungelöste Entwicklungsprobleme zugrunde. Mit diesem Fazit formuliert die Autorin zwar keine ganz neue Erkenntnis, wohl aber eine, die gegenüber den Verfechtern der populären Kulturkampf-These nicht oft genug betont werden kann.

Die Stärke der politikwissenschaftlichen Studie besteht vor allem darin, die Rolle des Islam für Politik und Selbstverständnis der Moro Islamic Liberation Front (MILF) herauszuarbeiten. Bei der MILF handelt es sich um die derzeit stärkste bewaffnete Formation der philippinischen Muslime, die sich Anfang der achtziger Jahre von der säkular-nationalistisch ausgerichteten MNLF (Moro National Liberation Front) abgespalten hatte. Die MILF hatte sich nicht an dem Friedens- und Autonomieabkommen (zwischen Regierung und MNLF) von 1996 beteiligt, sie hält (zumindest nominell) am Ziel politischer Unabhängigkeit für die "Moro Nation" (Bangsa Moro) fest, führt aber gleichwohl derzeit unter malaysischer Vermittlung Friedensgespräche mit der philippinischen Regierung.
Auch wenn es an den Rändern der MILF Sympathien und Kontakte zum militanten, internationalistischen Jihadismus gibt (v.a. zum Netzwerk Jemaah Islamiya), kommt die Autorin zu dem Schluss, dass Politik und Selbstverständnis der MILF vor allem auf die Lösung des territorial definierten "Moroproblems" bezogen bleiben, es sich mithin nicht um eine fundamentalistische, wohl aber um eine "fundamentalismusartige" Organisation und Bewegung handele. Auch wenn man über die Tragfähigkeit dieser etwas formalistischen Unterscheidung geteilter Meinung sein kann, bleibt festzuhalten, dass sich die MILF gegenüber ihrer säkularen Konkurrenz durch die starke Orientierung am Islam einen wichtigen organisatorischen Vorteil verschafft hat, der ihr auch das Überleben als bewaffnete politische Formation trotz mehrerer massiver militärischer Kampagnen der Regierung ermöglicht hat: Die islamische (nicht islamistische) Ideologie wirkt als sozial verbindendes Element (Ethik, Legitimationsgrundlage, way of life als sozialer Kitt). Allerdings werden die immer noch handlungsbestimmenden, auf Familie, Clan und Ethnie zentrierten sozialen Netzwerke und Loyalitätsstrukturen durch das gemeinschaftsstiftende religiös-ideologische Band nur mehr oder weniger lose überlagert. Zugleich hat die staatliche Repression aber auch die Kontrolle der MILF-Führung über ihre zerstreuten Kommandos gelockert und das in Mindanao schon immer virulente Problem der lost commands (bewaffnete Gruppen, die sich der Kontrolle durch politische Organisationen entzogen haben) verschärft. In den Verhandlungen der MILF mit der Regierung stellen die schwer kontrollierbaren, zwischen politisch-religiöser Radikalisierung und gewöhnlicher Kriminalität changierenden Kommandos am Rande der Organisation einerseits ein Drohpotenzial dar: Sie zeigen, welche Entwicklung bei ungenügenden Zugeständnissen drohen könnte. Anderseits ist ihre Existenz für die Hardliner und Verfechter einer militärischen Lösung im Regierungslager immer wieder der Vorwand, die Gespräche mit der MILF zu torpedieren.
Dies führt zu dem Schluss, dass die islamische Ausrichtung der MILF bei einem allfälligen Kompromiss mit der Regierung zweifellos eine größere organisatorische Kohäsion verleihen dürfte als dies bei der konkurrierenden MNLF der Fall war. Aber es muss gleichwohl bezweifelt werden, dass sie die dann drohende Gefahr politisch-organisatorischer Verselbstständigung sich radikalisierender Teile ihrer Basis und/oder Fraktionierungen entlang ethnisch-kultureller Bruchlinien tatsächlich verhindern könnte. Eine dauerhafte Befriedung der muslimischen Bevölkerungsminderheit wird nur möglich sein, wenn sich für die Entwicklungsprobleme des philippinischen Südens und die Lebensbedingungen der muslimischen Bevölkerungsminderheit konkrete Lösungen und Verbesserungen abzeichnen. Die weitgehende Ausblendung der Entwicklungsproblematik (Landfrage, Ressourcenzugang, kulturelle Identität) wie auch der ethnisch-kulturellen Feinstrukturierung der muslimischen Gesellschaft müssen als Defizite der ansonsten verdienstvollen, sich auf die religiös-ideologischen und politischen Dimensionen des Regionalkonflikts konzentrierenden Studie gesehen werden.
Autor: Helmut Schneider

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 51 (2007) Heft 3/4, S. 262-263