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Kategorie: Rezensionen

Michael Sorkin u. Sharon Zukin (Hg.), After the World Trade Center. Rethinking New York City. New York-London 2002. 240 S.

Verf. will die Bedeutung und Wirkung der Anschläge vom 11.9.2001 ausloten, ihr Verstehen befördern, ohne die Debatte durch Rückgriff auf Altbekanntes sogleich wieder, scheinbar wissend, abzuschließen. Die 19 Autoren, alle kritische Stadtforscher aus New York, versuchen unkonventionell zwischen alten Trends und neuer Situation zu vermitteln; ihnen scheint, als habe der 11.9. eine neue Epoche eingeleitet, die aber keinen radikalen Bruch mit der bisherigen imperialen (U.S.-)Politik darstellt.

In der Einleitung wird jedoch eingeräumt, dass man noch nicht weiß, wie sich die Lage entwickeln wird. Verf. blicken, wie schon der Untertitel signalisiert, von New York auf New York und die Welt. Der erste Blick ist historisch: In mehreren Beiträgen wird die nicht erst seit dem 11.9. gewaltsame Geschichte New Yorks, von der Enteignung der Indigenen und SklavInnen (John Kuo Wei Tchen) über die Kriege der Kolonialzeit und der frühen Republik (Edwin G. Burrows) bis hin zu dem Bombenanschlag vom 16.9.1920 (Beverly Gage) untersucht und auf aktuelle Parallelen befragt. Als Zweites werden Architektur und Entstehungsgeschichte des WTC seit den späten 1950er Jahren in Augenschein genommen. Dabei besteht Einigkeit, dass die Twin Towers keine "neutral or innocent spaces" (David Harvey, 59) waren. Vielmehr repräsentierte ihre machtvoll-brutale, ganz auf Außenwirkung abstellende Architektur (Eric Darton) "the global marketplace" (Mark Wigley) in "the era of neoliberal globalization" (Harvey), mithin den Übergang von Fordismus zu flexibler Akkumulation, von einer gemischten zu einer FIRE-dominierten Stadtökonomie. "The WTC was bedecked with noble language about global unity, but its real life, and the changes it went through, belonged to the swampy history of Manhattan real estate deals." (Marshall Berman, 7) Die Geschichte dieser Deals, die Bedeutung des WTC für New Yorks Stadtentwicklung, bildet den dritten Aspekt der Betrachtung. Peter Marcuse zeigt, auch unter Verweis auf Robert Fitchs großartiges The Assassination of New York (1993), dass Planung und Bau des WTC nichts mit den Zwängen ›des Marktes‹, aber viel mit dem Zugriff der Rockefellers auf die Stadtpolitik zu tun hatten; sein Standort Lower Manhattan hatte schon Jahrzehnte zuvor den Wettbewerb mit Midtown Manhattan verloren. Hier wird einsichtig, wieso die Twin Towers nach den Brüdern David und Nelson Rockefeller benannt wurden (M. Christine Boyer). Den von milliardenschweren Eliten dominierten und einseitig auf Manhattan ausgerichteten Projekten stellen Verf. das Konzept des "mixed zoning" (Andrew Ross) und das Bild einer polyzentrischen Metropole (Michael Sorkin) gegenüber. Der Bau des WTC führte seinerzeit zur Verdrängung der von kleinen Elektro-Geschäften dominierten "Radio Row" wie auch des "Syrian Quarter". Letzteres ist einer der Ansatzpunkte dafür, als vierten Aspekt die Bedeutung von Ethnizität und Rassismus zu reflektieren. Während Moustafa Bayoumi die jüngsten Veränderungen im Verhalten gegenüber Arabern reflektiert, untersucht Arturo Ignacio Sanchez die unterschiedlichen Reaktionen der Latinos anhand (Berman) der Trümmer und des Zusammenkommens auf dem Union Square eine andere Wirklichkeit bedeuteten als der staatsoffizielle Amerikanismus. Letzterer wird in der politischen Nutzung der Anschläge durch die Bush-Regierung ausgemacht. Neil Smith zeigt, wie im nationalistischen Taumel die multiethnischen Täter- und Opfergruppen gleichermaßen nationalisiert bzw. rassifiziert wurden. Dieses ›wir gegen sie‹ diene bloß der nationalistischen Formierung für den als "War against Terror" gerechtfertigten Krieg für eine weltweite us-amerikanische Vorherrschaft. Albert Scharenberg (Berlin)eines Vergleichs von kolumbianischen und ekuadorianischen New Yorker. Fünftens schließlich kreisen die Gedanken immer wieder um die unmittelbar politischen Dimensionen der Anschläge. Verf. erkennen in der Trauer- und Erinnerungsarbeit ein Terrain, in dem die Deutungshoheit politisch umkämpft ist. Sie erinnern daran, dass es für eine kurze, TV-werbefreie Zeit möglich war, "to talk about the collective good instead of individual interests" (Harvey, 61), dass die Solidarität des kollektiven "schlepping" (Berman) der Trümmer und des Zusammenkommens auf dem Union Square eine andere Wirklichkeit bedeuteten als der staatsoffizielle Amerikanismus. Letzterer wird in der politischen Nutzung der Anschläge durch die Bush-Regierung ausgemacht. Neil Smith zeigt, wie im nationalistischen Taumel die multiethnischen Täter- und Opfergruppen gleichermaßen nationalisiert bzw. rassifiziert wurden. Dieses ›wir gegen sie‹ diene bloß der nationalistischen Formierung für den als "War against Terror" gerechtfertigten Krieg für eine weltweite us-amerikanische Vorherrschaft.
Autor: Albert Scharenberg

Quelle: Das Argument, 46. Jahrgang, 2004, S. 144-145