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Kategorie: Rezensionen

Jean Ziegler: Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher. München 2003. 318 S.

Samir Amin: Für ein nicht-amerikanisches Jahrhundert. Der in die Jahre gekommene Kapitalismus. Hamburg 2003. 182 S.

Ziegler hat eine Kampfschrift vorgelegt, gerichtet gegen Analysen der Weltordnung, die wie selbstverständlich die Perspektive der USA bzw. der reichen Länder einnehmen (vgl. Hack in Das Argument 252). Zur Zeit als Sonderbotschafter der UN-Menschenrechtskommission für das Recht auf Nahrung tätig, belegt Verf. auf Grundlage eigener Erfahrungen ein Bild ›der Welt‹, das zeigt, wie sich globale Entwicklungen aus der Perspektive des ›Südens‹ ausnehmen, einschließlich der Stützung korrupter Regime.

Zum Wichtigsten gehört das Kapitel über die "unrentablen Völker" (193ff). So bezeichnen private Anleger die "less advanced countries" (LAC), jene 49 ärmsten Länder (34 davon in Afrika), die mit einer Bevölkerung von insgesamt 640 Mio. Menschen über weniger als ein Prozent des Welteinkommens verfügen. Dieses Elend der Welt werde nicht zuletzt vom IWF erzeugt und verwaltet. Warum sind, fragt Verf., die vorwiegend an US-Universitäten ausgebildeten Fachleute der Weltbank und des IWF so blind und ignorant, dass sie "zu idealen Janitscharen" des US-Imperiums (213) werden können? Eine eigenwillige Antwort findet er wenige Straßen vom Hauptsitz der Weltbank und des IWF entfernt in den Armenvierteln Washingtons, von denen die Mitarbeiter der Institute ebenso wenig wüssten wie von den Ländern, über deren Schicksal sie urteilen. Mitarbeiter von WTO, Weltbank und IWF bezeichnet Verf. als "Söldlinge", da sie faktisch "immer zugunsten des Auslandskapitals und der inländischen herrschenden Klassen" (180) agierten; zumal der IWF "im ständigen unmittelbaren Dienst der Außenpolitik der USA" (191) stehe. Andererseits sei die WTO "in Wahrheit eine imperiale Macht, fürchterlich in ihrem Zorn und souverän in den von ihr verhängten Sanktionen" (150). Die Praxis der Weltbank schließlich entspringe, bei allen Änderungen, doch immer "der reinen Banker-Mentalität, was die systematische Ausbeutung der betreffenden Populationen und die erzwungene Öffnung ihrer Länder für die Beutejäger des globalisierten Kapitals impliziert" (168). Mit den "Beutejägern" hat Verf. sich im Kapitel zuvor befasst, in dem er die Jagd nach "Blutgeld", "die wilde Gier nach Erfolg, nach maximalem Profit, nach Macht" geißelt, die die "Seins- und Handlungsweise der Oligarchien des globalisierten Kapitals" kennzeichnen (79). Zwar herrscht zwischen diesen Oligarchien ein "erbarmungsloser Krieg" (77), wenn es aber um die gemeinsamen Interessen gehe, dominierten Korruption und "Ausplünderung der Staaten der Dritten Welt" (81). Mit langen Anleihen bei Habermas und Dahrendorf belegt Verf. die "Agonie des Staates"; zudem zieht chischen Weltordnung garantiert" (ebd.). Ergebnis ist eine "Privatisierung des Planeten", die gleichbedeutend ist "mit dem Ausschluss und der territorialen Einsperrung der Armen" (65). Grund zur Hoffnung sieht Verf. weder bei den Nationalstaaten noch in der UNO, sondes Finanzkapitals" aufbegehre (222). Er beschreibt "Fronten des Widerstands" (238ff) und "Waffen des Kampfes"(250ff), die gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit der dominierenden Form der Weltveränderung gerichtet sind, etwa anhand der Landlosenbewegungen in Brasilien (264ff). Die den Planeten beherrschende Macht sei dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nicht am Kampf der Ideen um demokratische Mehrheiten beteilige, sondern sich in Schweigen und absolute Diskretion flüchte (251). Entscheidend ist daher die "Wiederaneignung des öffentlichen Raums" (262), wodurch die "Kombattanten der und ihr Treiben aufzudecken" (262). Sympathischer und ermutigender als der grassierende Zynismus der Weltstrategen ist Verf. engagierte Empörung allemal.er (angewidert) die berühmte Rede des ehemaligen Bundesbank-Chefs Tietmeyer heran, der den in Davos versammelten Staatschefs kundtat: "Von nun an stehen Sie unter der Kontrolle der Finanzmärkte!" (99) Hier verfehlt Verf. jedoch die Bedeutung des Vorgangs. Was in den Abschnitten über die internationalen Organisationen noch in konkrete Argumentationen umgesetzt wird, schlägt um in die Schwäche einer weitgehenden Personalisierung, hinter der die Strukturzusammenhänge verloren gehen. Sorgfältiger ist Verf. Darstellung der Steuerparadiese, in denen sich ein grundlegender Konflikt zwischen "Beutejägern und republikanischen, demokratischen Staaten" manifestiere: Für die "neuen Herrscher" sei es generell unerträglich, Steuern oder Sozialabgaben zahlen zu müssen (131). Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu Korruption und organisiertem Verbrechen, das als "verschärfter Kapitalismus" angesehen werden müsse (vgl. Ziegler u. Mühlhoff, Die Barbaren kommen: Kapitalismus und organisiertes Verbrechen, ##Ort## 1998). "Beutejäger" und "Söldlinge" sind Agenten einer Konstellation, die schon zu Beginn des Buches vorgestellt wird: "Das Imperium", das nach dem Zerfall der Sowjetunion die Welt beherrsche, habe die 1991 aufkeimenden Hoffnungen zerstört. Statt auf die bestehenden multilateralen Organisationen zu setzen, um in der neuen, globalen Gesellschaft ein kollektives Sicherheitssystem zu etablieren, "haben die Gebieter des Kapitals auf die militärische Schlagkraft der amerikanischen Supermacht gesetzt. Anstelle einer internationalen Schlichtung von Konflikten zwischen Staaten haben sie das Diktat des amerikanischen Imperiums gewählt" (34). Ausgeblendet bleibt u.a., dass nach 1990 auch die USA zunächst nicht auf die militärische Karte setzten, sondern auf eine neoliberale Form der Globalisierung, die auf der aggressiv umgesetzten Behauptung beruhte, der "freie Markt" könne alles alleine regeln. Sieht man von den neokonservativen Think Tanks ab, so änderte sich dies erst in der zweiten Amtszeit der Regierung Clintons. Rabiat ist Verf. Zuspitzung: "Mit ihrer Entscheidung für das amerikanische Imperium und gegen die planetarische Demokratie haben die Gebieter der Welt die Menschheit um mehrere Jahrhunderte zurückgeworfen. Von all den verschiedenen Oligarchien, die in ihrer Gesamtheit das Kartell der Herrscher der Welt bilden, ist die nordamerikanische bei weitem die mächtigste, kreativste und lebendigste." (35) Die USA sind kein einfacher ›National‹-Staat, sondern ein "Imperium, das mit seinen Streitkräften - zu Wasser, zu Lande, in der Luft und im Weltraum - [...] die ständige Expansion der oligardern in der "neuen planetarischen Zivilgesellschaft", die gegen die "planetarische Tyrannei Hoffnung" in die Lage versetzt werden, "das Schweigen der neuen Herrscher zu brechen
Auch Amin richtet sich gegen vereinseitigende Betrachtungen der Welt aus dem ›Norden‹. Ganz bescheiden will Verf. die "Debatte über die Zukunft des kapitalistischen Weltsystems" eröffnen (7). Im Zentrum des "real existierenden" Weltsystems steht neben dem geben. Die widersprüchliche Wirkung der neuen Produktivkräfte wird einseitig negativ Prozess des netzbasierten Outsourcing und den Nutzen, den Arbeitskräfte in Indien, China bekannten ›Grundwiderspruch‹ zwischen Kapital und Arbeit der ›Hauptwiderspruch‹ zwischen Zentrum und Peripherie (30). Diese im Kapitalismus immer schon bestehende Polarisierung sei mit den sozialistischen Revolutionen (Russland, China) und denen der nationalen Befreiung tiefgreifend verändert worden: Die "gegen das dominante Kapital durchgesetzte Industrialisierung" hat zu derart ungleichen Ergebnissen geführt, dass man jetzt unterscheiden muss zwischen "Peripherien ersten Ranges", die zu potentiellen Konkurrenten geworden sind, und "marginalisierten Peripherien", denen dies nicht gelungen ist (18). "Eine neue, künftig bestimmende Scheidelinie der Polarisierung" wird von den "fünf ›neuen Monopolen‹ der dominanten Länder der Triade" markiert. Diese "betreffen 1.) die Hochtechnologien, 2.) die weltweit bedeutsamen Finanzbewegungen [...], 3.) den Zugang zu den Naturschätzen des Erdballs, 4.) den Bereich Kommunikation und Medien sowie 5.) die Massenvernichtungswaffen" (17). Zentrale Bedeutung hat dabei der "kollektive Imperialismus der Triade". Der Imperialismus sei "kein gesondertes Stadium des Kapitalismus", vielmehr ist sein expansionistischer Drang dem System "von Anfang an" inhärent (61). Während es früher aber um konkurrierende Imperialismen ging, komme es im globalisierten Kapitalismus zur Vereinheitlichung der Interessen: "Die doppelte Option für eine kollektive Steuerung des Weltmarktes und damit auch des globalen politischen Systems zeigt an, dass sich gemeinsame Interessen des transnationalen Kapitals aller Partner der Triade herausbilden. Mit den Praktiken ihres Hegemonismus, das zu diesem Bild gehört, verteidigen die USA nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern jene des Kollektivs der Triade." (76) Damit ist zugleich eines der Grundprobleme von Verf. Konstruktion angesprochen. Je nach Kontext ist die Rede von einem monolithischen "›Block‹ der imperialistischen Triade" (135), einer Einheit mit gemeinsamen Interessen (die am besten von den USA vertreten werden), oder eben von einer Gruppierung von Vasallen-Staaten, die sich "im Gefolge der USA-Hegemonie" (103) bzw. in deren "Kielwasser" (110) bewegen. Eine Sonderstellung nimmt die Triade ein, jener "Exklusivclub, der den Ländern des Ostens und Südens keinen Zutritt gewährt" (169). Angesichts der zentralen Stellung des Begriffs und seiner eher affirmativen und theoriefreien Verwendung seit seiner Einführung durch Kenichi Ohmae (1985) hätte man einige Erläuterungen mehr erwarten können. Hier schlägt sich die Kritik nieder, die Verf. früher immer wieder am altersschwachen Kapitalismus übte, der "den arbeitenden Klassen und den Völkern" bzw. der "Mehrheit" der Menschheit "nichts mehr zu bieten" hat (130f). Nach der Zerschlagung des kommunistischen Gegners habe die "zivilisierte Welt" nunmehr einen neuen Feind gefunden: den Süden (132). Wie andere Passagen kann man diese Bemerkungen als ›Revanche‹ für den Eurozentrismus ansehen, für den ›der Süden‹ im Zweifelsfall auch immer nur ein graues Einerlei war. Der Versuch, den Spieß (der Ignoranz) umzudrehen, rächt sich aber: Indem Verf. den "kollektiven Imperialismus der Triade" undifferenziert als Pauschalfeind vorstellt, leidet seine Analyse ebenso wie seine unendlich gut-gemeinten radikalen Strategieempfehlungen. Verf.scheint nicht im Kapitalismus des 21. Jh. angekommen zu sein. Immer wieder werden die transnationalen Konzerne für das ganze Elend der Welt verantwortlich gemacht. Kontrafaktisch wird behauptet, einen Weltmarkt für Arbeitskräfte könne es nicht beurteilt (58; 101). Die Polarisierung in ›Nord‹ und ›Süd‹ bleibt zu schlicht - man lese einmal aktuelle Untersuchungen über informationstechnologisch gestützte Dienste oder den usw. daraus ziehen. Ein Teil der Defizite geht offenbar auf Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung zurück. Das beginnt bei der verfälschenden Titelgebung: Der Buchtitel "Jenseits des senilen Kapitalismus" ist in den Untertitel gerutscht und wird eher harmlos übersetzt. Die Beschwörung eines "nicht-amerikanischen 21. Jh." im neuen Titel beansprucht einen aktuellen Bezug, dem Verf. in keiner Weise gerecht wird. Das von der Gruppierung um Kristol, Kagan u.a.
betriebene Project for the New American Century ist für Verf. kein Thema. Schludrig wirkt auch die Zusammenstellung der Texte mit den vielen Wiederholungen. Ungenügend ist schließlich der Umgang mit Literaturverweisen resp. -belegen. So die Betonung der Bedeutung der Regionalisierung (141ff), die später allerdings durch eine genau so engagierte Betonung des Lokalen (166ff) übermalt wird. Einigermaßen unerträglich aber ist der apodiktische Duktus, der nicht nur einzelne Aussagen prägt - etwa die Behauptung, der Euro habe keine Chance gegen den Dollar (114) -, sondern streckenweise die ganze Argumentation kennzeichnet. Er erinnert an den selbstgerechten Ableitungsmarxismus der frühen 1970er Jahre, von dem man eigentlich gedacht hatte, dass er angesichts der Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte schamvoll im Orkus der Geschichte verschwunden ist.
Autor: Lothar Hack

Quelle: Das Argument, 46. Jahrgang, 2004, S. 149-152