Bob Jessop: The Future of the Capitalist State. Cambridge 2002. 330 S.

Mit den Umbrüchen vom "Keynesian Welfare National State" zum "Schumpeterian Competition State" und einem "Schumpeterian Workfare Postnational Regime" verliert der staatstheoretische Forschungsgegenstand, bisher als Nationalstaat gedacht, seine Eindeutigkeit. Verf. nähert sich diesen Umbrüchen in einem theoretischen Dreischritt, von Poulantzas über Gramsci zu Luhmann (8). Die ersten beiden gehören zu einer materialistischen Staats- und Klassentheorie, die den Staat nicht als durch die Basis bestimmten Überbau, sondern als soziales Verhältnis mit eigener Materialität begreift. Die Anleihen bei der Systemtheorie sollen Verselbstständigungsprozesse unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme fassbar machen. Inwieweit eine von Gramsci und Poulantzas ausgehende Analyse mit Elementen der Systemtheorie vereinbar ist, diskutiert Verf. nicht. Ausführlich werden der keynesianische Wohlfahrtsstaat, seine Erosion sowie die folgende Restrukturierung von Staat und Ökonomie nachgezeichnet. Diese Entwicklungen - von der binnenzentrierten, nachfrageorientierten Konstellation im Fordismus, hin zu einer angebotsorientierten Politik und zur Verschärfung des internationalen Wettbewerbs, die Ausdifferenzierung der ökonomischen- und politischen Räume etc. - sind bekannt (vgl. u.a. Jessops Texte in AS 249, 1997; sowie Argument 236 und 239). Doch die systematisierte Darstellung unterschiedlicher Aspekte der Transformation und ein aktualisierter Blick machen die Analyse lesenswert und als Einführung für Einsteiger geeignet.
Verf. sieht drei große Trends: Die "Entnationalisierung" (195ff), als ein Prozess der territorialen und funktionalen Reorganisation des Staates, "auf supranationaler, nationaler, subnationaler und translokaler Ebene", sei durch die "Versuche von Staatsmanagern" charakterisiert, ihre "respektive operationelle Autonomie und strategischen Kapazitäten auszuweiten". Es werden "spezifisch technisch-ökonomische und engere politische und ideologische Funktionen" auf "panregionalen, plurinationalen oder internationalen staatlichen Ebenen oder in intergouvernmentalen Körperschaften verortet" (195). In den damit verbundenen Machtverschiebungen - innerhalb der Staatsapparate und zwischen diesen - zeigt sich eine massive Reartikulation der Funktionen des Nationalstaats. - Die "Deterritorialisierung" des politischen Systems (199ff), im Global Governance-Ansatz herausgearbeitet, ist eine Bewegung weg von "Government" hin zu privater und dezentralisierter "Governance", in der das Primat offizieller, typischerweise nationalstaatlich organisierter Staatsapparate verschwindet. Die "Internationalisierung politischer Regime" (200) verweist auf die zunehmende strategische Orientierung des Nationalstaats auf den Weltmarkt. Wie Verf. betont, sind diese drei Tendenzen keine linearen Entwicklungsrichtungen (201ff), sondern werden von Gegentendenzen begleitet. In "Abwesenheit eines mit der nationalstaatlichen Macht vergleichbaren supranationalen Staates" versuchen die Nationalstaaten, "Macht durch das Management des Verhältnisses unterschiedlicher räumlicher Dimensionen ökonomischer und politischer Organisation zurückzugewinnen" (201). Auch spielen sie in der "Metagovernance" eine Rolle, "stellen die grundlegenden Regeln der Governance und den regulatorischen Rahmen bereit, in dem Governance-Partner ihre Ziele verfolgen können" (242). In der Bewegung von Government zu Governace wächst die Bedeutung des Government. Gleichzeitig werden Formen und Funktionen internationaler Regime aber permanent in Frage gestellt.
Vom Verschwinden des Nationalstaats kann keine Rede sein, doch seine immer noch "zentrale politische Rolle" wird "redefiniert aufgrund der allgemeinen Reartikulation" der Räume (213). Er bleibt die Instanz, die in einer von Klassenkämpfen durchzogenen Gesellschaft soziale Kohäsion herstellt - was die verschiedenen Staatstypen aber immer nur vorübergehend organisieren können. Der "schumpeterianische Wettbewerbsstaat" im Rahmen eines "postnationalen Workfare-Regimes" (247) ist nur der jüngste Versuch, diesen "capital accumulation-social welfare (reproduction) circle" am laufen zu halten (276).
Autor: Jens Wissel

Quelle: Das Argument, 46. Jahrgang, 2004, S. 328-329