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Kategorie: Rezensionen

Jürgen Hartwig: Die Vermarktung der Taiga. Die Politische Ökologie der Nutzung von Nicht-Holz-Waldprodukten und Bodenschätzen in der Mongolei. Stuttgart 2007 (Erdkundliches Wissen 143). 436 S.

Die Inwertsetzung von Naturressourcen stellt einen klassischen Gegenstand der geographischen Forschung dar. Im Laufe der Zeit haben sich Analyserahmen und Forschungsperspektiven einem Wandel unterzogen, der schon fast eine eigene Disziplingeschichte erfordert. Jürgen Hartwig geht in seiner breit angelegten Dissertation diesem Wandlungsprozess innerhalb der Untersuchungen zu Mensch-Umwelt-Beziehungen nach, bevor er sich dem eigentlichen Gegenstand widmet. Ausführlich diskutiert er Strömungen und Interpretationen der geographischen Entwicklungsforschung, die sich nach anfänglichen Auseinandersetzungen über konkurrierende Globaltheorien in ihrer Hinwendung zu Theorien mittlerer Reichweite stärker ausdifferenziert hat.

Aus der Debatte unterschiedlicher Ansätze wird das Forschungsdesign entwickelt, das den methodischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen zugrunde gelegt wird. Sehr verdienstvoll ist die Aufarbeitung und ausführliche Zitation weit zurück liegender Quellen. Im besten Sinne ist die Untersuchung historisch in der mongolischen Geschichte verankert und stellt entscheidende Bezüge zu den Interessen externer Akteure her. Allein diese historische Einbettung und die Beschreibung des Transformationsprozesses mit seinen "Schocktherapien" nehmen 140 Seiten der mit 436 Seiten überbordenden Darstellung ein. Das raumzeitliche Panorama aus 800 Jahren Geschichte sowie globalen und nationalstaatlichen Rahmenbedingungen ersetzt keineswegs historische Untersuchungen im Kontext der Mongolei. Jedoch gelingt es dem Autor wichtige Leitlinien zu skizzieren, eine Fülle von Material zu präsentieren und vor allem auch die Quellen zu benennen, aus denen weiterführende Erkenntnisse für den interessierten Leser geschöpft werden können. Allein schon diese Darstellung ist eine wichtige Leistung und lässt das Buch zu einem Referenzwerk für die Mongolei werden. Sein Hauptanliegen kommt im siebten und achten Kapitel zum Vorschein, in denen die beiden regionalen Untersuchungsgebiete - die Distrikte Bashireet und Khuder - zum Gegenstand der empirischen Analyse werden. In beiden Distrikten liegt der Anteil "verwundbarer" Personen zwischen 70-85%. Darüber hinaus lassen sich hier konfliktreiche Beziehungen zwischen mobilen Viehzüchtern und machtvollen Bergbauunternehmen studieren. Das Spektrum der Akteure ist umfangreich, die Interessenkonflikte nicht prinzipiell anders gelagert als in anderen Weltregionen. Der Feldforscher greift diese Konstellationen für den Nachweis der Suche nach Nischen auf. Diese noch nicht besetzten Aktionsfelder finden sich in den Jagd- und Sammelwirtschaften marginalisierter ländlicher Bevölkerungen. Wie im Titel hervorgehoben spielen in den waldreichen Gebieten Nicht-Holz-Waldprodukte eine lebenswichtige Rolle. Der Autor wählte den komplexen Ansatz, der aus einem vielfältigen Theorie-Cocktail gespeist wird, um in den sich ihm erschließenden Bereichen Erklärungsansätze für die Handlungsmacht, Interessenslagen und Überlebensstrategien unterschiedlicher Akteure offen legen zu können. Deutlich werden die Wirkungen veränderter internationaler Nachfragemuster und Wertschöpfungsketten auf die lokalen Wirtschaftsaktivitäten und das Verhalten gegenüber den natürlichen "open access"-Ressourcen. Der Autor bietet eine Vielzahl von Einblicken und Einsichten in diesen überlebenswichtigen Sektor der mongolischen Wirtschaft, die vielfach differenziert und gerade im Bergbausektor in hohem Maße von machtvollen externen Akteuren gesteuert ist. Herr Hartwig ist im Laufe seiner Untersuchungen offensichtlich häufig von der Machtfülle einzelner Akteure erschüttert worden. Aus diesen Erkenntnissen heraus lässt sich im Nachhinein konstatieren, dass die Wahl eines politisch-ökologischen Ansatzes zielführend war. Die gemachten Vorschläge zur Verbesserung, die als "Auswege und Perspektiven" bezeichnet werden, scheinen unter den gegebenen gesellschaftlichen Zuständen und globalen Verflechtungen doch eher im Bereich der wohlgemeinten Wünsche zu verbleiben.
Die "Vermarktung der Taiga" ist ein lesenswertes Opus, das Einblicke in die Verfassung des mongolischen Staatswesens aus einer problemorientierten Perspektive mit einer Vielzahl von gut recherchierten und illustrierten Informationen bietet. Allein die Auswahl der aus unterschiedlichen Archiven und Quellen stammenden 90 Photographien, die Präsentation von 54 aussagekräftigen Abbildungen und die umfangreiche, zahlreiche Sprachen berücksichtigende Bibliographie dokumentieren, dass dem an der Mongolei interessierten Lesekreis eine empfehlenswerte Monographie anzuzeigen ist.
Autor: Hermann Kreutzmann

Quelle: Erdkunde, 62. Jahrgang, 2008, Heft 2, S. 173-174