Helmut Nuhn, Markus Hesse: Verkehrsgeographie. Paderborn u.a. 2006. 382 S.

Die Verkehrsgeographie besitzt innerhalb des Systems der Geographie einerseits Eigenständigkeit als anthropogeographische Teildisziplin hinsichtlich Forschungsgegenstand und -ansatz, gleichzeitig sind aber auch starke Bezüge vor allem zur Wirtschafts- und Siedlungsgeographie vorhanden. Dies wird beispielsweise auch in den älteren Lehrbüchern von Fochler-Hauke (1969), Voppel (1980) oder Maier-Atzkern (1992) sichtbar. Seit langem stand eine aktuelle Aufbereitung der Verkehrsgeographie in Lehrbuchform an, die nun mit der Arbeit von Helmut Nuhn und Markus Hesse vorgelegt wurde.

Die Gliederung folgt dabei traditionellen Ansätzen: Nach einer Einführung zu den Wechselbeziehungen zwischen Verkehr, Raum und Gesellschaft (unklar bleibt, warum hier die Gesellschaft exponiert herausgestellt wird, nicht aber die Wirtschaft) folgen zwei Hauptkapitel: Zum einen zu den Verkehrsträgern in sektoraler Betrachtung, zum anderen eine Differenzierung nach räumlichen Kategorien. Ein fünfundzwanzig Seiten umfassendes
Kapitel widmet sich "Theorien und Modellen". Den Abschluss bilden zwei Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung und zur Rolle und Bedeutung von Mobilität in der modernen Gesellschaft.
Die Aufarbeitung ist in wesentlichen Teilen als gelungen zu bezeichnen, gleichwohl entgehen dem kenntnisreichen Leser nicht die stark unterschiedlichen Handschriften und Ansätze der beiden Verfasser: Nuhns stärker traditionellwirtschaftsgeographische Perspektive und Hesses eher theoriegeleiteter sozialwissenschaftlicher Fokus. Bedauerlich erscheint, dass eine dritte Perspektive, die planungspraktische und anwendungsbezogenen Dimensionen der Verkehrsgeographie (z. B. in der ÖPNV-Planung), nicht deutlicher herausgestellt wurde. Gerade in einem Studienbuch und mit Blick auf berufsorientierte Studiengänge wäre dies wünschenswert gewesen. Ein altbekanntes Problem der Verkehrsgeographie stellen die fehlenden eigenen theoretischen Konzepte dar. Hier können Nuhn und Hesse zwangsläufig auch nur Altbekanntes wiedergeben: Bei Transportkosten und Standortfaktoren muss Weber herhalten, obwohl gerade in der modernen Logistik und Wirtschaftsraumforschung komplexere Analyse- und Erklärungsansätze vorzufinden sind (allerdings keine aus geographischer Perspektive). In diesem Kontext sind die verkehrsgeographischen Ausführungen von Schliephake in dem von ihm herausgegebenen anthropogeographischen Sammelband hinsichtlich ihrer wirtschaftsgeographischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fundierung als Sekundärliteratur zu empfehlen.
Drei Defizite müssen als Verbesserungsempfehlung für eine Folgeauflage angesprochen werden: Das aus verkehrs- und wirtschaftsgeographischer Sicht wachsende Themenfeld der Logistik sollte gerade in seiner raumwissenschaftlichen Dimension breiter und systematischer aufgearbeitet werden. In der Luftverkehrswirtschaft hat die Realität das altbekannte Hub-and-Spoke-System durch veränderte Marktbedürfnisse, Netzplanungen und Herstellerkonzepte sowie durch die wachsende Bedeutung von Point-to-Point-Verkehren modifiziert. Schließlich ist die Betonung der Transportkosten als raumdifferenzierender Faktor und Erklärungsansatz gerade im Zeitalter der Globalisierung stärker zu relativieren oder zumindest zu diskutieren. Insgesamt haben Nuhn und Hesse eine lesenswerte, umfangreiche Aufarbeitung der Verkehrsgeographie vorgelegt, bei der die genannten Schwächen durch die Lektüre leicht zugänglicher ergänzender Werke kompensiert werden können.
Autor: Rudolf Juchelka

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 52 (2008) Heft 4, S. 250-251