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Kategorie: Rezensionen

Sandra Petermann: Rituale machen Räume. Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie. Bielefeld 2007. 350 S.

Die Mainzer sozialgeographische Dissertation greift ein wichtiges Thema von Erinnerungspraxis und -kultur auf: Schlachtfelder als Orte kollektiven, häufig auch staatlich inszenierten Erinnerns. Höchst nützlich ist der ausführliche Literaturüberblick. Leider dokumentiert die Autorin ihre Empirie - u.a. 105 Interviews - völlig unzureichend, so dass der geneigte Leser selbst versuchen kann herauszufinden, ob die Zitate von Experten, Veteranen oder Touristen stammen, von deren Nationalität ganz zu schweigen. Aussagen, die ein gewisses analytisches Gewicht zu beanspruchen scheinen, werden auch schon mal in ein Interviewzitat gekleidet, das mit "Ich sag mal" beginnt. Die Autorin neigt ferner dazu, Kontroversen nur zu benennen oder unterschiedliche Aussagen nebeneinander zu stellen.

Aus dem abschließenden Plädoyer für die Verstetigung des Gedenkens auch nach der 60-Jahrfeier der Landung in der Normandie, an der wohl zum letzten Mal viele Veteranen beteiligt waren, lässt sich als zentrale These ableiten, die "Sakralisierung" der Erinnerungsorte und -räume trage entscheidend zu deren Attraktivität für die unterschiedlichen Besuchergruppen, aber in einer grob an Durkheim orientierten Perspektive auch zur gesellschaftlichen Kohäsion bei. Dies wird freilich nur unzureichend untermauert, weil die Autorin auf eine kritische Analyse der von ihr erhobenen und rekonstruierten Diskurse weitgehend verzichtet. So fehlt etwa eine Reflexion darauf, was "lebendige Geschichte" eigentlich bedeutet, wenn Schlachtenszenen nachgestellt werden. Genauso wird die Kategorie des "Wissens", das über solches "Re-enactment" oder auch durch Museen oder das Sammeln von Militaria vermittelt werden soll, ganz unproblematisch eingeführt und benutzt. Das in deutschen Wissenschaftsverlagen heutzutage fehlende Lektorat wird hier besonders schmerzlich vermisst - es wimmelt von Grammatikfehlern, falscher Idiomatik, schiefen Metaphern und ungelenken Übersetzungen. Wer sich da durchbeißt, kann sich immerhin eine nicht unerhebliche Materialfülle über zwei herausragende Erinnerungsregionen zur europäischen Militärgeschichte des 20. Jahrhunderts erschließen. Es verdient festgehalten zu werden, dass die Dissertation neben der Internationalen Friedensmedaille der Stadt Verdun auch einen Preis der Universität Mainz erhalten hat.
Autor: Reinhart Kößler

Quelle: Peripherie, 28. Jahrgang, 2008, Heft 109/110, S. 230