Niklas Martin: Einkaufen in der Stadt der kurzen Wege? Einkaufsmobilität unter dem Einfluss von Lebensstilen, Lebenslagen, Konsummotiven und Raumstrukturen. Mannheim 2006 (Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung 16). 282 S.

Dieser Berliner Dissertation liegen neben einem gründlichen Literaturstudium vor allem umfangreiche empirische Forschungen zugrunde. Dennoch bestätigen die Ergebnisse eher bekannte Entwicklungen, die sich in Berlin besonders nach der Wiedervereinigung 1990 vollzogen haben. Ob es zu einer „Stadt der kurzen Wege“ kam, wird schon im Titel bezweifelt. Die Fragestellung leitet sich von dem Planungsziel ab, den Verkehr in der Stadt so weit wie möglich zu entlasten und dabei besonders Autofahrten zu reduzieren.

Dafür werden „die räumlichen Muster und Motive der alltäglichen Einkaufsmobilität“ analysiert, wobei die Nutzung der nächstgelegenen Einkaufsmöglichkeiten (Nearest Center) im Fokus steht (S. 20f.). Der Untersuchung liegt ein „methodischer Mix“ zugrunde, wie die Ermittlung von Angebotsstrukturen, eine umfangreiche Fragebogenaktion (von insgesamt 2100 Fragebögen an Haushalte kamen 1720 zurück, S. 80) sowie leitfadengestützte Interviews. Die zahlreichen Fragen zur Einkaufsmobilität (S. 250ff.) erfassen eine Vielzahl von Variablen, wie Sozialstrukturen, Lebensstile, Einkaufsmotive, Verkehrsmittel, Wegekopplungen etc. Der Einkauf ist in Waren unterschiedlichen Bedarfes unterteilt: Lebensmittel, Bekleidung und Unterhaltungselektronik stehen für kurz-, mittel- und langfristigen Bedarf. Die Befragungen wurden in insgesamt 10 abgegrenzten Wohnbereichen Berlins vorgenommen, wobei für einen Standort zwischen 150 und 200 Auskünfte entfielen. Mit der Auswahl der Quartierstypen sollten „Zusammenhänge zwischen Raumstruktur und Einkaufsverkehr erkennbar werden, d.h. es mussten Faktoren, wie Lage, Dichte und Art der Bebauung, Verhaltensweisen der Bewohner, Mobilität etc. erfragt und gegenübergestellt werden. Ausgesucht wurden unsanierte und sanierte Altbaugebiete in der Innenstadt; Zeilenbauten der 1950/60er Jahre am Innenstadtrand; Kleinsiedlungen der 1920/30er Jahre sowie Großwohnsiedlungen der 1970/80er Jahre am Stadtrand. Jeder dieser Wohntypen wurde an Standorten im West- und Ostteil der Stadt untersucht, um mögliche Unterschiede durch die längere politische Trennung herauszufinden (S. 64ff. mit Lagekarte und typischen Fotos). Ausführlich und mit ergänzenden Karten und Abbildungen werden die 10 Wohngebiete mit ihren Angebots- und Nachfragestrukturen vorgestellt (Kap.4). Die folgenden zusammenfassenden Analysen über „Merkmale und Ursachen der Einkaufsmobilität“ (Kap.5) sind in ihrer Ausführlichkeit und Vielseitigkeit besonders hervorzuheben, ebenso die anschaulichen kartographischen Umsetzungen (Karten 12 bis 14) und weitere Abbildungen. Der große und vielgestaltige Stadtraum Berlins kommt dabei gut zur Geltung, wenn auch weitere Wünsche für regionale Beispiele offen bleiben müssen. Die kompetente Auswertung und Gegenüberstellung des empirisch gewonnenen Materials führte zu Bewertungen (S. 223ff.), wobei sich komplizierte Muster der Einkaufsmobilität zeigen. Sie beruhen auf einem Geflecht verschiedener Einflussgrößen, auch nicht-räumlicher Determinanten, die planerische Maßnahmen zur Reduzierung des Einkaufsverkehrs erschweren (S. 229). Die Nearest Center werden im Durchschnitt nur für etwa 50 bis 60 % der Einkäufe genutzt, dagegen bestimmen zunehmend „spezifische Konsumpräferenzen“ der Bewohner besonders den Kauf längerfristiger Waren. Kurze Wege, die zu Fuß zurückgelegt werden können, werden am ehesten von Bewohnern innerstädtischer Altbauquartiere wahrgenommen, wo vielfältige Angebote in unmittelbarer Wohnungsnähe zur Verfügung stehen. Wenn sich auch manche Ergebnisse der Arbeit einer Strukturplanung entziehen und andere bereits vorliegenden Erfahrungen entsprechen, sind die gründlich erarbeiteten Aussagen und Hinweise für die Planung wie auch für zünftige Untersuchungen wichtig. Und es wird deutlich, dass es Einkaufen auf kurzen Wegen – jedenfalls bis jetzt in Berlin – nur begrenzt gibt.

Autor: Karl Lenz

Quelle: Die Erde, 138. Jahrgang, 2007, Heft 3, S. 235-236