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Kategorie: Rezensionen

Aram Ziai: Globale Strukturpolitik? Die Nord-Süd-Politik der BRD und das Dispositiv der Entwicklung im Zeitalter von Globalisierung und neuer Weltordnung. Münster 2007. 319 S.

Die Entwicklungspolitik Deutschlands beansprucht nach dem Ende des Kalten Krieges und beschleunigt seit dem rotgrünen Regierungsantritt, globale Belange zu berücksichtigen. Die Herkunft und Umsetzung dieses Ansatzes zeichnet Aram Ziai in seinem Buch "Globalen Strukturpolitik" nach, das auf der an der Universität Kassel entstandenen Habilitationsschrift des Verfassers beruht. Sein Erkenntnisinteresse ist dabei auf die Struktur der Konzepte und Begründungsformen von Entwicklungspolitik gerichtet.

Ziai erläutert zunächst in Kapitel 3 eine an Foucault angelehnte diskurs- und machttheoretische Perspektive als die methodische Grundlage seiner Arbeit. Anschließend rekonstruiert er in den Kapiteln 3 und 4 die Entstehung des Dispositives "Entwicklungspolitik" in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, das über eine Reihe von Zwischenschritten unter anderem in das Dispositiv der globalen Strukturpolitik transformiert wurde. Danach gibt Ziai einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungslinien der rot-grünen Entwicklungspolitik, um dann in den folgenden Kapiteln 6 bis 9 deren Umsetzung in verschiedenen Politikfeldern bzw. dominanten Themen zu analysieren. Es handelt sich um die Schulden-Problematik, die internationalen Finanzbeziehungen, die Entwicklungsrunde innerhalb der Welthandelspolitik sowie um eine weitere Anzahl kürzer behandelter Themen. In Kapitel 10 fasst Ziai seine Erkenntnisse schließlich in dreizehn Thesen zusammen. Deren Tenor besteht darin, dass unter dem Label der "Globalen Strukturpolitik" eher nationale denn universale, eher neoliberale denn egalitäre und eher rein ökonomische denn gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden.
Zur Methodologie ist zunächst festzuhalten, dass Ziai die in den Sozialwissenschaften inzwischen gut etablierte Diskursanalyse instruktiv darstellt. Allerdings fokussiert er auf diese Methode ohne ihre Reichweite und Grenzen innerhalb des politikwissenschaftlichen Angebots deutlich zu machen. Dennoch greift er in seinen materialen Untersuchungen in den Kapiteln 6-9 auf die üblichen Mittel einer policy-Analyse zurück. Diese Fallstudien entwickeln ein hohes Maß an Problemdurchdringung, ohne dass jedoch die methodischen Verknüpfungen erläutert werden.
Poststrukturalistische Methoden können dann Erkenntnisse schaffen, wenn durch ihre Anordnung der Aussagen von Kontrahenten diese als Teilmengen eines gemeinsamen Diskurses entschlüsselt werden, in dem Wirklichkeitsgehalte in bestimmter Weise formiert oder gar ausgeblendet werden. In diesem Sinne beansprucht die Diskurstheorie, die Verwandtschaft scheinbarer Gegner offen legen zu können. Dieser Nagelprobe unterzieht sich Ziai anhand des Gegenübers von Modernisierungstheorie und Dependenztheorie, den klassischen Antipoden in den Kontroversen der Entwicklungstheorie in den 1950er und 1960er Jahren. Diese Theorien dechiffriert er als diskursive Teilmengen eines Entwicklungsdiskurses, die gemeinsam die Herrschaft des Expertenwissens über die zu entwickelnden Länder bzw. Menschen behauptet hätten. Beim Nachweis dieser These gelingen Ziai einige der stärksten Passagen des Buches. Dennoch muss er ebenfalls konstatieren, dass im Rahmen der Dependenztheorie auch die Selbstermächtigung der Menschen in unterentwickelten Ländern gegenüber den westlichen Expertokratien verfolgt wurde, weshalb gerade nicht von einem "einheitlichen Entwicklungsdispositiv auszugehen" sei (53).
Ein weiteres Problem tritt für die Diskurstheorie darin auf, dass innerhalb von gesellschaftlichen Prozessen unterschiedliche Akteure mit wechselnden Argumentationsrichtungen auftreten. Diese konterkarieren sich häufig so stark, dass sie sich nicht mehr mit den Fangarmen eines einzelnen Dispositivs einfangen lassen. Ziai lässt so neben dem Dispositiv "Globale Strukturpolitik" weitere Diskursstränge bzw. Diskurse wie Global Governance, Nachhaltigkeit, Partizipation auftreten, deren Beziehung zueinander jedoch ungeklärt bleiben: mal stehen sie komplementär, mal alternativ zueinander.
Im Unterschied zum gängigen Forschungsstand über die Einschätzung der rot-grünen Entwicklungspolitik (113-116) möchte Ziai belegen, dass weniger eine mangelnde Umsetzung des Konzepts der globalen Strukturpolitik zu kritisieren ist, die z.B. aufgrund kabinettspolitischer Strukturen, finanzpolitischer Zwänge oder handwerklicher Fehler reklamiert wird. Vielmehr handele es sich um ein Politikkonzept, dass gerade die spezifischen Interessen der kapitalistischen Industrieländer aufgreife und - bei allen partiellen Zugeständnissen gegenüber den Entwicklungsländern in einzelnen finanziellen oder institutionellen Fragen - aufgrund seiner Hegemonie im internationalen Diskurs durchzusetzen imstande sei. Somit zielt er auf eine eindeutige Kritik des Konzepts: Die Dispositive kommen und gehen, der Kapitalismus aber bleibt bestehen. Insgesamt gelingt es Ziai, viele Fragezeichen hinter die Konzeption und Wirksamkeit des Konzeptes der globalen Strukturpolitik sowie hinter die Selbsteinschätzung ihrer führenden Akteure zu setzen. Dennoch kann er die Eindeutigkeit seiner Kritik nicht durchhalten. Sowohl in den materiellen Analysen wie auch in den abschließenden Thesen stößt er auf zahlreiche Ambivalenzen bzw. positiv von ihm bewertete Effekte oder Rückwirkungen. Und vielleicht fallen die Ergebnisse der globalen Strukturpolitik, auch gemessen am Anspruch einer Entwicklungspolitik aus der Perspektive der Peripherie, doch nicht so negativ aus.
Christoph Scheuplein

Quelle: Peripherie, 28. Jahrgang, 2008, Heft 111, S. 369-371