Brigitte Young (Hg.): Die Politische Ökonomie des Dienstleistungsabkommens (GATS). Gender in EU und China. Baden Baden 2007 (= Internationale Politische Ökonomie, 6). 304 S.

Der Band ist das Ergebnis eines einjährigen, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekts, dem eine längere Phase der Exploration und der konzeptionellen Vorbereitung vorausging. Die Studie versteht sich als Teil feministischer Anstrengungen in Sachen "Engendering der Makroökonomie", wie sie mit der Gründung der International Association for Feminist Economics (IAFFE) im Jahre 1992 mit ihrem 1997 als herausragend innovativ preisgekrönten Journal Feminist Economics akademisch institutionalisiert ist.

Die Leiterin des Forschungsprojekts, die am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster Internationale Politische Ökonomie lehrende Professorin Brigitte Young, stellt im Vorwort die zentrale Fragestellung der Studie folgendermaßen vor: "Beeinflussen die jeweiligen Gender-Verhältnisse die Finanzmarkt- und Handelspositionen eines Landes, und wirken sich Änderungen in diesen Bereichen, insbesondere die Liberalisierung der globalen Finanzmärkte und des Handels, auf die Gender-Verhältnisse aus?" (5) Darüber hinaus situiert sie die auf Theoretisierung zielende Studie in einen politischen Zusammenhang: "Die Forderung, das Thema ‚Geschlechtergerechtigkeit' in internationale Verhandlungen zum Welthandel aufzunehmen, ist (demnach) ein zentraler Eckpfeiler der Bemühungen um eine Globalisierung der Inklusivität" (21; Herv. im Orig. fett). Das mag ein wenig unglücklich formuliert sein, denn Inklusivität ist ja nichts, was, an einem Ort schon gegeben, nunmehr zu globalisieren wäre, aber wir verstehen, was gemeint ist.
In ihrer Einleitung (Kap. 1) fächert Young die "bidirektionale" (23) Fragestellung weiter auf. Ungleiche Geschlechterverhältnisse subventionieren die Handelsposition eines Landes, vermeintlich neutrale makroökonomische Politiken haben geschlechterungleiche Wirkungen. Das wird unter menschenrechtlichem Aspekt am Beispiel des GATS, seinem Verhältnis zum überkommenen Sozialstaat und seiner Wirkung auf Frauen weiter umrissen. Aus diesem Gesamtzusammenhang heraus ist auch das Interesse an dem Vergleich EU - China begründet.
Im 2. Kapitel skizziert Young "das Dreieck Gender, Handel und Finanzen als ein theoretisches Schlüsselkonzept" (38). Es werden zum einen neo-klassische und neo-institutionalistische Theoretiker vorgestellt, zum anderen die Ansätze feministischer Ökonomie, die sich in der Theoretisierung der Strukturanpassungspolitik (die in die 1980er Jahre, nicht erst in die 1990er Jahre gehört, 47) und asiatischer Finanzkrise zu akademischer Reife entwickelten. Die Skizze des Zusammenhangs von Finanzmarktentwicklung, Druck auf Nationalstaaten (fi scal squeeze), Privatisierung von und Handel mit Dienstleistungen auf globalen Märkten, geschlechterpolitischer Strukturierung des Dienstleistungssektor, einschließlich der nicht marktvermittelten Dienstleistungen der Care Economy, macht neugierig auf die Ergebnisse der Regional- bzw. Länderstudien.
Das dritte, von Young gemeinsam mit Markus Kerkmann erarbeitete Kapitel verfolgt die Geschlechterstrukturiertheit des internationalen Handels mit Dienstleistungen eingehend und datenreich. Es werden die Chancen und Beeinträchtigungen von Frauen als Konsumentinnen, Produzentinnen und Unternehmerinnen untersucht. Das 4. Kapitel widmet Markus Kerkmann dann dem GATS selber. Hier fi nden wir eine umfassende historische und strukturelle Darstellung und ein sorgfältiges Ausleuchten möglicher geschlechterpolitisch asymmetrischer Wirkungen. Interne und externe Liberalisierung, Privatisierung insbesondere von Finanzdienstleistungen, deren Implikationen für die Systeme sozialer Sicherheit, die Risikoverlagerung auf private Haushalte und dort vornehmlich auf Frauen, das alles ist souverän aufbereitet und gibt in seiner abwägenden Argumentation sehr gutes Reflektionsmaterial für noch gestaltungsoffene Prozesse ab.
Adam Widera untersucht im 5. Kapitel die Wechselwirkung EU-interner Liberalisierungsprozesse und den vom GATS ausgehenden Liberalisierungsimpuls. Er verfolgt insbesondere, in wieweit die EU von der Möglichkeit, Gemeinwohlverpfl ichtungen festzulegen, Gebrauch macht. Zu dem Zweck liefert das Kapitel eine differenzierte Bestimmung der Begriffe öffentliche Daseinsvorsorge und der in der EU geläufigen Dienstleistungskonzepte. In sorgfältig ausgeführten Argumentationsschritten weist der Autor nach, in welchem Ausmaß der Liberalisierungsdruck von den Staaten der EU selber ausgeübt wird und Optionen der Reklamierung eines staatliche Kontrolle und Steuerung erfordernden Allgemeininteresses, die unter dem GATS durchaus möglich sind, ungenutzt bleiben. Auf dem Hintergrund statistischen Materials zu Frauen und Männern im Arbeitsfeld Dienstleistungen werden geschlechtsspezifische Chancen und abträgliche Auswirkungen erörtert. Insgesamt kommt der Autor zu einem frauenpolitisch eher negativem Ergebnis, das er durch eine effektive Politik des Gender Mainstreaming auf EU-Ebene nur wenig konterkariert sieht.
Im 6. Kapitel schließlich geht Christa Wichterich dem Zusammenhang von Wachstumspolitik und sozialer Sicherung in China nach dessen Beitritt zur WTO im Jahr 2001 nach. Sie verfolgt v.a. die Frage, wie die chinesische Regierung unter den Bedingungen des GATS die Spannung zwischen Wettbewerbs- und Wohlfahrtsstaat unter der selbst gesetzten Maßgabe einer exportorientierten Industrialisierungsstrategie handhabt. Eine hohe Investitionsquote, Beschränkung des Investitionsanteils ausländischer Investoren und Banken, Produktions- und Gewinnzuwächse, die systematisch nicht in Lohnerhöhungen umgesetzt werden, belegen das große staatliche Interesse am Aufbau einer einheimischen Privatwirtschaft, das im Dienste dieses Ziels eine rasch wachsende soziale Polarisierung in Kauf nimmt. Der gesamtwirtschaftliche Transformationsprozess und seine Konsequenzen für Frauen, die Herausbildung geschlechtersegmentierter Arbeitsmärkte bzw. das Fortwirken geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung im boomenden Dienstleistungssektor sowie das Jonglieren der Regierung im Übergang vom vormaligen System kollektiver Sicherheit zur neoliberalen, von Finanzfonds unterlegten Eigenverantwortung werden plastisch. Insgesamt bietet das Kapitel einen beeindruckend dicht dargestellten Einblick in das Funktionieren von Liberalisierung und fi scal squeeze und dem Vordringen finanzmarktgesteuerter Allokationsmechanismen in dem Transformationsland China.
Das vornehmlich von Brigitte Young verfasste 7. Kapitel webt die Fäden des empirisch gestützten Vergleichs und die Theoretisierungsanstrengungen zusammen. Indem es die Verknüpfung geschlechterstrukturierter Sozialversicherungssysteme mit liberalisierten Finanzmärkten und die Vor- und Nachteile für Frauen aufgreift, macht es den Vergleich zwischen der EU und China noch einmal hochplausibel. Die Passage zum Ertrag für die zwischen Neoklassik und feministischer Politischer Ökonomie zu leistende Theoriebildung wirkt ein wenig ungelassen und fällt mit dem Appell "Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung mit dem Verweis auf ihren wirtschaftlichen Nutzen defensiv zu verteidigen" (273) sicherlich ein wenig bescheidener als der politische Blick feministischer Theoriebildung aus.
Interessanterweise redefiniert das letzte Kapitel die ursprüngliche Fragestellung in Richtung "geschlechtsspezifische Auswirkungen" und "geschlechtsspezifi sche Konsequenzen" (255) und verlässt damit die eingangs angekündigte bidirektionale Orientierung. Das hatte die Studie selber allerdings längst getan. Sie fokussiert vorrangig auf Wirkungen und versteht unter Gender in der Regel Frauen. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterordnungen als Steuerungsfaktor verlieren sich weitgehend bzw. werden als Diskriminierung, hierarchische Arbeitsteilung u.ä. zwar erwähnt, aber nicht systematisch in ein theoretisiertes Verhältnis zu "Governance im ‚Bereich Handel - Gender - Finanzen'", so der Titel des Theoriekapitels 2, gestellt. Insofern bleibt das Versprechen des Anfangs uneingelöst. Bedenkt man aber den Zeitdruck von finanziell geförderten Forschungsprojekten, so liegt hier doch sowohl überaus interessantes Material vor als auch ein wesentlicher Schritt, Prolegomena nicht unähnlich, zu einer konzisen Theoretisierung eben dieses Zusammenhangs.
Zwei Dinge, das soll denn doch noch erwähnt sein, sind an dem Band ein wenig befremdlich. Da ist zum einen die Versicherung der Forschungsleitung "Die empirischen Fallbeispiele/Kapitel wurden anhand meiner theoretischen Vorgaben und Anweisungen sowie auch den Vorschlägen der Mitglieder des Beirats der Hans-Böckler-Stiftung konzipiert und auch dementsprechend umgesetzt" (8). Sicher gehört ein Rahmen theoriegestützter Hypothesen zum Handwerkszeug eines Forschungszusammenhangs. Ein koordinierendes Geländer wird gleichermaßen nützlich sein. Gleichwohl: So, wie die hier vorliegende Beschreibung, stellt man sich die Strukturierung des wissenschaftlichen Diskurses der academic community idealiter eigentlich nicht vor. Es wäre auch wenig wünschenswert, wenn die zunehmend Drittmittel-abhängige Universität zu einem autokratischen Anweisungszusammenhang mutierte.
Befremdlich ist auch die - mit Verlaub - schlampige Präsentation. Von einem Verlag, der den KäuferInnen dieses Bandes 49 € abverlangt, darf man getrost sorgfältigere Lektorierung erwarten. Tipp-, Interpunktions- und Grammatikfehler, Inkonsistenzen in den Akronymen, unbedachte Anglizismen, Zwischenräume im fortlaufenden Absatz, falsche Zuordnung von Quellen u.ä. sollten bei der Drucklegung getilgt sein. Allerdings lässt die in den Fußnoten wiederkehrende Formulierung "Frau Riemann hat das Kapitel dankend lektoriert" und "Frau Prof. Dr. Young hat dankend die Mittel zur Verfügung gestellt", vermuten, dass dem Verlag vielleicht anzuraten wäre, auf den nächsten Band in dieser aufregenden Serie dankenswerterweise größere Sorgfalt zu verwenden.
Wenn der renommierte Nomos Verlag dem noch ein Plus hinzufügen wollte, dann könnte er sich z.B. unter www.warandgender.com Anregungen holen. Dort finden sich eine exemplarisch aufbereitete Internetbegleitung eines publizierten Werks, welche die Arbeit mit dem Buch hervorragend ergänzt.
Claudia von Braunmühl

Quelle: Peripherie, 28. Jahrgang, 2008, Heft 111, S. 371-374