Christa Reicher, Klaus Kunzmann, Jan Polivka, Frank Roost, Yasemin Utku, Michael Wegener (Hg.): Schichten einer Region. Kartenstücke zur räumlichen Struktur des Ruhrgebiets. Berlin 2011. 248 S.

vorgestellt von Christa Reicher


Kurztext

Das Ruhrgebiet ist in vielerlei Hinsicht eine einzigartige Region - in der Entwicklung zu einem der größten europäischen Ballungsräume der Schwerindustrie ebenso wie im Strukturwandel zu einer Technologie- und Dienstleistungsregion.

Die Kartenstücke veranschaulichen einzelne thematische Schichten des Ruhrgebiets in Karten, Grafiken und textlichen Erläuterungen. Sie gehen dabei über die bisher bekannten Darstellungen hinaus und zeigen überraschende Strukturen und Prozesse des aktuellen Wandels in siedlungs­geographischer, ökonomischer, landschaftlicher, ökologischer sowie sozialer und baulicher Hinsicht. Ihre Zusammenführung am Ende des Buches bietet einen Beitrag zur Diskussion über die künftige Gestaltung der Region.

 

 

Inhaltliche Erläuterung

Regionen, die sich aus einer Vielzahl von einzelnen Städten zusammensetzen, sind kein Sonderfall. Im Rahmen des globalen Urbanisierungsprozesses haben sich Städte verstärkt in großen Agglomerationen organisiert. Dabei sind weiträumige und dennoch dicht besiedelte Städteregionen entstanden, die mitunter gänzlich ohne Millionenstädte auskommen. Das Ruhrgebiet steht im deutschsprachigen Raum nahezu paradigmatisch für den Typus der polyzentrischen Agglomeration. Aber wie sieht diese polyzentrische Struktur im Ruhrgebiet tatsächlich aus, jenseits der gefühlten Eindrücke und bisherigen Erfahrungen? Welche unterschiedlichen Schichten prägen die Region und ihre einzelnen Teilbereiche? Und welche möglichen Entwicklungspfade lassen sich aus diesen spezifischen Eigenarten ableiten? Diese und weitere Fragen ruft die Ausstellung auf und liefert hierzu Antworten in Karten, Illustrationen und Grafiken.

Das Ruhrgebiet ist – und dies hat die detaillierte Recherche gezeigt - in vielerlei Hinsicht eine einzigartige Region: In der Entwicklung zu einem der größten europäischen Ballungsräume der Schwerindustrie ebenso wie im Strukturwandel zu einer Technologie- und Dienstleistungsregion. Dieser Prozess hat sichtbare Spuren hinterlassen, in Schichten und Strukturen z. B. in ökonomischer, landschaftlicher, sozialer, baulicher und kultureller Hinsicht. Um diese Zusammenhänge einer interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln, haben Städtebauer und Wissenschaftler der Fakultät Raumplanung der Technischen Universität Dortmund mit dem ILS Dortmund und Planern aus der Region seit 2009 ein kommentiertes Kartenwerk erstellt, das die Herausforderungen und Chancen benennt bzw. auf aktuellem Stand beschreibt und zugleich auch Ansätze für die Weiterentwicklung der strukturellen und baulich-räumlichen Besonderheiten des Ruhrgebiets aufzeigt und vertieft.

 

Sieben Schichten des Ruhrgebiets werden in der Publikation visualisiert und illustriert:

 

  • Das Ruhrgebiet, eine andere Metropole: Die Dimensionen der 4000 qkm großen Stadtlandschaft zwischen Ruhr und Lippe, zwischen Hamm im Osten und Kamp-Lintfort im Westen machen die Herausforderungen sichtbar, die diese Region zu bewältigen hat, wenn sie die von der Montanindustrie verursachten Narben verdecken oder auch nur überbrücken will. Kartenstücke aus anderen großen Städten und Metropolen in der Welt zeigen die Andersartigkeit des Ruhrgebiets; sie zeigen, dass das Ruhrgebiet zwar ähnliche Dimensionen wie andere Metropolen hat, aber dass ihre im Vergleich kleinräumige polyzentrische Struktur andere ordnende und entwickelnde Strategien erfordern.

 

  • Kerne, Adern und Ränder: Die Siedlungs- und Bebauungsstruktur des Ruhrgebiets ist das Ergebnis von historischen Prozessen, die im Verlauf von über 100 Jahren aus einem ehemals landwirtschaftlich geprägtem Raum eine Industrielandschaft geschaffen haben. Ein dichtes Netz von Strassen verbindet Hunderte von kleinen und größeren Ortskernen, die jeweils ihre eigene Identität haben. Was das Ruhrgebiet von anderen Stadtlandschaften in Deutschland unterscheidet sind seine vielen inneren Stadtränder, die die Siedlungsflächen von Flächen abgrenzen, die andere sehr heterogene Funktionen haben, sei es weil sie industriell und für Lagerhaltung und Logistik genutzt sind, weil Trassen der Energieversorgung eine Bebauung unmöglich machen, weil sie als Abstandsflächen zu regionalen Verkehrskorridoren dienen, aber auch weil sie an den regionalen Grünzüge angrenzen, die seit über 50 Jahren Anliegen der Planer waren und sind.

 

  • Polyzentrische Aktionsräume: Regionale Mobilität im Ruhrgebiet ist Voraussetzung für Wirtschaft und Bevölkerung. Die Kartenstücke zeigen Lage und gute Erreichbarkeit des Ruhrgebietes in Europa und Deutschland. Die unterschiedlichen Dimensionen des Verkehrssystems und der Mobilität in der Region werden dargestellt. Die Karten zeigen aber auch, wie nachhaltige Mobilität durch die integrierte Planung von Siedlungsstruktur und Verkehrsystemen in dieser polyzentrischen Stadtlandschaft erreicht werden kann.

 

  • Ethnische und soziale Vielfalt: Die ethnische Vielfalt hat Tradition im Ruhrgebiet. Schon die Montanindustrie hatte immer Bedarf an Arbeitskräften, die sie oft nur aus dem Ausland anwerben konnte. Die Region hatte immer einen hohen Anteil an Migranten. Aber auch der im Vergleich zu anderen deutschen Stadtregionen vergleichsweise niedrige Bildungsgrad der regionalen Bevölkerung ist ein Erbe der langen Dominanz der Großindustrie. Doch der Strukturwandel in der Region blieb nicht ohne Folgen für die Bevölkerungsdynamik und die wirtschaftliche Entwicklung. Überalterung ist auch im Ruhrgebiet eine Herausforderung, ebenso wie die zunehmende kleinräumige Segregation. Das Entstehen einer eigenständigen ethnischen Ökonomie an den Wohnstandorten von Migranten ist eine neue Chance für die wirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets. Die Karten zeigen dies, aber auch die religiöse Pluralisierung und die soziale Heterogenität unterschiedlicher Milieus in der Region.

 

  • Die Landschaftsmaschine Ruhr: Durch das Zusammenwirken der naturräumlichen Bedingungen und menschlichen Wirtschaftens im Ruhrgebiet entstand über die Jahrhunderte eine sehr komplexe Landschaftsmaschine, die das Ruhrgebiet formte und noch immer formt. In dieser Landschaftsmaschine strömen Stoff- und Energiekreisläufe und entstehen neuartige Landschaften. Diese Landschafts-maschine öffnet einen neuen Blick auf die Zusammenhänge zwischen natürlichen Bedingungen und menschlichen Wirtschaftens in der Region. Die Kartenstücke zeigen die Wechselwirkungen zwischen den Eingriffen in die topgraphischen Verhältnisse des Ruhrgebiets und dessen Auswirkungen auf das Wassersystem. Sie zeigen die Wasser- und Abwasser-Maschinen, die die Siedlungsentwicklung der Region immer sehr beeinflusst haben. Sie illustrieren schließlich auch die neuen Tal- und Berglandschaften die sich in dieser von der Industrie so stark ausgebeuteten Landschaft herausgebildet haben.

 

  • Laboratorium des Strukturwandels: Wie in wenigen anderen Regionen in Deutschland sind im Ruhrgebiet die Folgen des strukturellen Wandels für die Raum- und Siedlungsstruktur besonders sichtbar. Es ist der Wandel von einer fast monostrukturell wirkenden Montanindustrie zu einer Wirtschaft, die zwar noch immer von dem Erbe dieser Industrie geprägt ist, die sich aber inzwischen zu einer sehr diversifizierten Struktur von Gewerbe, Wirtschaft, Handel und Dienstleistungen gewandelt hat. Die neue wirtschaftliche Struktur des Ruhrgebiets besteht aus einer Vielzahl von Klein- und Mittelbetrieben, die sich aus der jahrzehntelangen Abhängigkeit von der Montanindustrie gelöst haben, und neue zukunftsorientierte Felder wirtschaftlicher Tätigkeit gefunden haben. Die Kartenstücke zeigen den sektoralen Wandel, die Modernisierungsprozesse, und die neuen zukunftsorientierten Kompetenzen des Ruhrgebiets.

 

  • Handlungsräume: Es war immer schwierig, die Stadtlandschaft als eine einheitliche Handlungsregion zu sehen. Zu unterschiedlich waren die Interessen der großen, mittleren und kleinen Städte im Ruhrgebiet. De gesamte Region ist ein Mosaik von sehr unterschiedlichen Handlungsräumen, die ihre jeweiligen Funktionen erfüllen und ihre eigenen Interessen vertreten, ohne dass sie von einer überdachenden regionalen Institution in ihrem Tun und Wirken geleitet werden. Die inneren Raumbilder der Region unterscheiden sich mit den jeweiligen Perspektiven, die äußeren Raumbilder sind oft von Vorurteilen geprägt, deren Bilder in der industriellen Geschichte der Region ihre Wurzeln haben.

 
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Christa Reicher, Klaus R. Kunzmann, Jan Polívka, Frank Roost, Yasemin Utku, Michael Wegener (Hg.): Schichten einer Region – Kartenstücke zur räumlichden Struktur des Ruhrgebiets. Berlin 2011. 248 S.


Auf der Grundlage dieser sieben „Schichten“ und der dort sichtbaren Herausforderungen werden Explorationen in die Zukunft der Region vorgestellt. Diese Ruhrkünfte basieren auf der spezifischen Urbanität des Ruhrgebiets. Sie sollen Hinweise geben, wie die heterogene polyzentrische Stadtlandschaft gestaltet werden kann, welche Ziele und Prinzipien raumbezogene Planungs- und Entscheidungsprozesse verfolgen sollten und wie diese Ziele in der täglichen Praxis auch umgesetzt werden können.

 

Christa Reicher ist Inhaberin der Professur für „Städtebau + Bauleitplanung“ an der Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung

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Rezension von Ingrid Krau:

Dieser beeindruckende Atlas steht als neuester in einer Reihe gewichtiger Atlanten zum Ruhrgebiet - und nichts kann die Umbrüche dieser Region deutlicher zeigen als die jeweiligen Ambitionen dieser Kartenwerke:

  •  [Siedlungsverband Ruhrkohlebezirk SVR (Hg.), Regionalplanung Essen 1960 ]  
    Noch sind Kohle und die zugehörige schwerindustrielle Verbundwirtschaft die entscheidenden Standortfaktoren. Die Nordwanderung des Bergbaus, aber auch die Planungsvorstellungen der Zeit geben vor, was zu tun ist: Sicherung des Bergbaus in der nördlichen Entwicklungszone, Auflockerung und Gliederung in der Ordnungszone beidseits der Emscher, Entlastung der Saturierungszone entlang der Ruhr.  Man schätzt eine  Zunahme der Bevölkerung von 5,5 auf 8 Mio. Einwohner!
  •  [SVR (Hg.), Industriestandort Ruhr Essen 1970]
     Mit dem absehbaren Rückzug des Bergbaus aus seinem gesamten Kerngebiet präsentiert der Atlas die brachfallenden Industrieflächen zur Vermarktung. Man geht davon aus, dass hier genauso viele Arbeitsplätze neu entstehen werden, wie verloren gehen.  
  • [Prossek et al., Atlas der Metropole Ruhr, Köln 2009]
    Zu sehen sind Vielfalt und Wandel im Kartenbild und das neue Ruhrgebiet im Werden mit seinen Lebensqualitäten, mit neuen  Technologiezentren, Forschungskompetenz und Hochschullandschaft - die Zukunft zeigt sich hoffnungsvoll offen.

Nun liegt also nur zwei Jahre später ein neues Kartenwerk vor - Schichten einer Region - eine noch umfassendere Arbeit, die durchaus an die Vorgänger anknüpft, entstanden als Kooperationsprojekt am Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung der Fakultät für Raumplanung an der TU Dortmund. Auch dieser Atlas hegt Ambitionen der Zukunftsgestaltung und analysiert dazu die Raumstrukturen des Ruhrgebiets auf das Detaillierteste und arbeitet eine Vielzahl einzelner Schichten in wunderbaren Karten und Planskizzen heraus, ergänzt um knappe Texte. Er öffnet damit den Blick auf immer neue Facetten, die in den materiellen Gegebenheiten verankert sind: Topographie, Gewässer, Grün, Wege, Bauformen - also vertraute Sujets; aber auch innere Ränder, Zäsuren, Netze, typologische Bauformen, polyzentrische Aktionsräume, Zeitgefüge der Mobilität und Erreichbarkeiten, so  kennt  man das Ruhrgebiet und auch die erkenntnisträchtigen Wunder der Kartographie noch nicht.

Zutiefst beeindruckend sind die Plandarstellungen zu den inneren Rändern. Sie verdeutlichen, dass die Unterteilung des Ruhrgebiets in eine fast endlose Menge fragmentierter Siedlungsbereiche zur größtmöglichen linienhaften Berührung von Wohngebieten und umgebenden Grünflächen geführt hat. Hier wird eine wesentliche, erhalten gebliebene Qualität des Reviers deutlich: das Wohnen am grünen Rand als Voraussetzung der immer noch starken Lokalbindung im „Revier". Eine eigene wissenschaftliche Arbeit mit Tiefgang hat Michael Wegener mit dem Kapitel „Polyzentrische Aktionsräume. Mobilität im Ruhrgebiet" beigefügt, die Mobilität, räumliche Zeitgefüge  und Erreichbarkeiten auf höchstem Niveau visualisiert. Die in den kartographischen Darstellungen enthaltene immense Forschungsleistung kann gar nicht genug gewürdigt werden.

Besonders beeindruckt auch  die Darstellung des sozialen und ethnischen Mosaiks. Da wird nicht nur neues Wissen zum Thema Migrantenökonomie dargeboten, sondern man erfährt sie zugleich als schrittweise Eroberung des Stadtraumes und als fortlaufende soziale Binnensegregation innerhalb der Migranten. Welch umfassende Analysearbeit muss all dieser Umsetzung in Pläne vorausgegangen sein!

Unbedingt sei auch auf die Visualisierung der „landschaftsproduzierenden Kräfte des Wassers" als „Zeitmaschine" hingewiesen. Sie entspricht zwar unserem trainierten kartographischen Blick, ist aber zugleich voller Brisanz. Die Vielzahl der Pumpwerke, die die riesigen Polderflächen trocken halten, die Überflutungsflächen, Deiche und Rückhaltebecken zeigen sich als kostenträchtige Hinterlassenschaften des Bergbaus, aber auch als Produzenten neuer Landschaft. Nur das kartographisch dargebotene „Laboratorium des Strukturwandels" bleibt mit seiner simplen Punktedarstellung der Einzeleinrichtungen etwas nüchtern und spracharm. Erst Gewichtungen und raumgreifende Kooperationsbeziehungen würden die Karten zum Sprechen bringen. Die Kritikerin weiß allerdings sehr wohl, wie schwer es ist, an detaillierte Firmen- und Institutionendaten zu kommen und welcher Analyseaufwand zur gelungenen Interpretation vorauszusetzen wäre.

Die eigenen raumstrukturellen Visionen des Teams um Christa Reicher, die sorgfältig ausgearbeitete Raumidee der „Kerne und Adern", wird bereits früh im vorderen Teil des Buches präsentiert, doch möchte ich sie hier am Ende und damit an hervorgehobener Stelle würdigen.

Konsequenter Weise gibt es an späterer Stelle im Kapitel „Handlungsspielräume und Raumbilder" die historischen Raumbilder der Regionalplanung des SVR und einiger jüngerer wissenschaftlicher Studien zum Vergleich. Sie demonstrieren den Wandel von der dominanten Schwerindustrie (1961) zur erhofften Dominanz einiger starker Zentren (1966), zum Zerfall des homogenen Industrieraumes in fragmentierte postindustrielle Teilgebiete (2001) hin zu einer Erneuerung über Einzelprojekte in einer wieder erstarkten Landschaft, der die Aufgabe des alles heilenden Gesamtzusammenhangs zukommt. (2010)

Die Raumbilder von Christa Reicher und Team zeigen sich nun als Quintessenz der Erforschung des historisch herausgebildeten und in seinen Grundstrukturen noch präsenten Siedlungsgefüges. Es ist die materialisierte Hinterlassenschaft vorausgegangenen gesellschaftlichen Handelns und damit mehr als bloße Materie.

Sie beginnen mit dem wunderbaren großen Schwarzplan des „Reviers", dem der gleiche Plan in farblicher Differenzierung des Wachstumsprozesses nachfolgt. Aus beiden Plänen lassen sich wichtige Erkenntnisse herauslesen. So die Einheitlichkeit des räumlichen Grundgefüges, die Fragmentierung und Lokallogik der Teile in der Einheit. So die im Zeitverlauf bis 1930, also noch mitten in der industriellen Expansion kenntliche Arrondierung der vorindustriellen Stadtkerne der Hellwegzone zu Stadtzentren, die sich allerdings bescheiden ausnimmt, wenn man sie mit der parallel verlaufenden, viel mächtigeren Dispersion der Siedlungsentwicklung in der großen  Fläche zusammenschaut. Herauslesen lässt sich, dass bis 1970, also dem Ende der motanindustriellen Wachstumszeit, im Kerngebiet des Reviers fast nur noch disperse, aber erhebliche Siedlungsentwicklung in der Fläche stattfindet; es gibt hier keine Weiterentwicklung der größeren Zentren mehr, jedoch eine gewisse Arrondierung der kleinstädtisch-dörflichen Kerne der Emscherzone zu eher bescheidenen städtischen Zentren.

Herauslesen lässt sich auch eine gewisse Präferenz bandartiger Entwicklungen in Nord-Süd-Richtung entlang der aus vorindustrieller Zeit datierenden großen Nord-Süd-Straßen. Sie werden zum Dreh- und Angelpunkt der raumstrukturellen Vision der „Kerne und Adern" als Identität stiftende bandartige Kernzonen der räumlichen Weiterentwicklung in die Zukunft hinein. Nicht belegt werden kann allerdings auf dieser phänomenologischen Ebene der Raumbilder, ob diese historischen Straßenräume heute noch immer gelebte Räume mit städtischer Lebensweise sind, inwieweit sie also für Versorgung und Freizeit genutzt werden. Die im gleichen Kapitel dargestellte äußerst disperse Verteilung der Arbeitsstandorte lässt andere Bewegungsmuster zwischen Wohnen und Arbeiten vermuten; ebenso verweisen die Pläne zur räumlichen Verteilung von Hochkultur, Freizeit und Kommerz darauf, dass es inzwischen abseits der Arbeit starke Bewegungsströme gibt, die der Nutzung der Kerne und Adern zuwider laufen. Doch ist auch ihre markante räumliche Ausprägung als Chance der Wiedereroberung kenntlicher urbaner Räume im weitläufigen Raumgefüge herauszulesen, von den Autoren als eigene Qualität der „Ruhrbanität" apostrophiert.

Der Atlas gibt mit seinen umfassenden Informationen jede Menge Anregungen, indem er vielfache Möglichkeiten zur analytischen Verknüpfung der dargebotenen Schichten zu neuen Erkenntnissen bietet und damit die essentielle Herausforderung enthält, auf dieser Grundlage weiter zu forschen. Wie die Vielzahl der dargebotenen Fassetten zeigt, wird es um interdisziplinäre Forschung gehen müssen, die die Raumbilder mit Erkenntnissen zu neueren sozialen und kulturellen Entwicklungen und denen des Wissenserwerbs unterlegt. Vielleicht ist diese in der umfassenden Arbeit implizit enthaltene Herausforderung  sein allergrößtes Verdienst.