Gerard McCann, Stephen McCloskey (Hg.): From the Local to the Global. Key Issues in Development Studies. 2. Aufl., London, New York (NY) 2009. 308 S.

Um es vorwegzunehmen: Die vorliegende, großenteils von in Nordirland und der Republik Irland ansässigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestrittene Publikation bietet insgesamt nützliche Einführungstexte zu einem breiten Spektrum von Fragen, die gemeinhin mit „Entwicklungsforschung“ in Verbindung gebracht werden. Die Neuaufl age des 2003 zuerst erschienenen Bandes ist gründlich aktualisiert. Alle 15 Artikel sind mit übersichtlichen Literaturhinweisen und Verweisen auf relevante Websites ausgestattet.

Neben Standardthemen wie dem aktuell dargestellten „System“ der „Hilfe“ (Joanne McGarry), dem Welthandel und seiner fragwürdigen Rolle als „Hilfe“ für Entwicklung (Denis O’Hearn), der – freilich auf dem Stand vor 2008/09 dargestellten –  Verschuldungskrise (Nessa Ní Chassaide), dem Klimawandel (M. Satish Kumar), Gender und Entwicklung (Maeve Taylor) oder den Millennium Development Goals (Chrispin R. Matenga) werden auch einige neue oder in diesem Kontext überraschende Fragestellungen aufgenommen. Dies gilt für die Messung von Human Development, wozu Andy Storey ausführlich Instrumente und Ansätze darstellt, um zu der nicht neuen, aber desto wichtigeren Schlussfolgerung zu kommen, dass Zahlen nur in ihrem Kontext zählen. Der Zahlenfetischismus aber ist vor allem in der Ökonomie hegemonial, wie Robert Chambers in von Storey zitierten Versen resümiert (38):

    Economists have come to feel
    What can’t be measured isn’t real
    The truth is always an amount
    Count numbers, only numbers count.

Eindeutig auf neueste Tendenzen bezogen ist die Einschätzung des International Criminal Court (ICC) von Paul Hainsworth. Dabei werden sowohl die widersprüchlichen Erfahrungen mit den Krisen in Darfur oder der Demokratischen Republik Kongo resümiert als auch die ebenso widersprüchlichen Folgen des 11. September 2001 berücksichtigt, insbesondere vor dem Hintergrund der Gegnerschaft vor allem der Bush-Administration gegen den ICC. Hainsworth sieht diesen dennoch in der Linie einer mit den Nürnberger Prozessen eingeleiteten Herausbildung eines internationalen Regimes zur Wahrung der Menschenrechte und „effektiver Verfolgung verübter Verbrechen“, wie es der südafrikanische Anti-Apartheidsaktivist und Jurist Albie Sachs formuliert (62). Zu Recht widmet Gerard McCann den Economic Partnership Agreements (EPA) einen eigenen Beitrag, die er in die Kontinuität der Abkommen von Yaoundé, Lomé und Cotonou stellt. Dabei geht es nicht allein um das Handelsregime, sondern auch um den Rückgang der effektiven „Hilfs“-Transfers im Verhältnis zum BIP und die innere Dynamik der EU, die in ihrer Politik gegenüber den Ex-Kolonien zum Ausdruck kommt. Nicht berücksichtigt bleibt dabei der folgenreiche regionale Zuschnitt der EPAs, der bestehende Kooperationsbeziehungen zwischen afrikanischen Staaten effektiv konterkariert. Zu nennen ist auch Madeleine Leonards differenzierte Auseinandersetzung mit Kinderarbeit, die nicht allein die bekannte Problematik des Zwangs zum Erwerb und manchmal auch des Wunsches berücksichtigt, dieser möge unter einigermaßen menschlichen Bedingungen erfolgen, sondern zugleich zeigt, wie wenig wirksam die Kampagnen für fairen Handel oder entsprechende Siegel oft sind, wenn es darum geht, diese Bedingungen wirklich herzustellen und zu kontrollieren.

Die Lektüre der Beiträge hinterlässt zwei bestenfalls offene Fragekomplexe. Zum einen wird ständig von „Entwicklung“ geredet, ohne dass klar würde, was genau damit gemeint ist, außer dass es besser werden möge und dies vor allem im globalen Süden. Anders ist die Verknüpfung von Klimawandel und „Entwicklung“ schwerlich zu verstehen, wenn es vor allem um die Folgen für Inselstaaten oder afrikanische Länder geht. Allenfalls lässt sich durch den Verweis auf „Aussichten für Wirtschaftswachstum und ... Folgen für Einkommen und Gesundheit“ (125) die Bedeutung von „Entwicklung“ ungefähr erahnen. Zum anderen verweist Chassaide völlig zu Recht auf die Notwendigkeit globalen Handelns und auch entsprechender Anstrengungen im Bereich von Erziehung und Bildung. Nur
wäre dann mindestens zu reflektieren, wie die nach wie vor regionale Fixierung der „Entwicklungs“-Thematik mit dieser globalen Perspektive zu vermitteln ist. Stephen McCloskey nimmt dies auf, wenn er seinen Überblick über „Entwicklungs-Erziehung als Mittel sozialen Wandels“ mit einem Plädoyer für „Erziehung zu nachhaltiger Entwicklung“ abschließt (260ff). Die Förderung „aktiven staatsbürgerlichen Handelns“ (263) ist gewiss eine konsequente Schlussfolgerung aus einer Problembeschreibung, die nicht
zuletzt auch auf die zunehmende globale Ungleichheit verweist. Gerade die Klima-Problematik sollte aber Anstoß sein, über die Kooperation zwischen nach wie vor gegeneinander schroff abgegrenzten Umwelt- und „Entwicklungs“-Aktivitäten hinaus über diese Einteilung selbst nachzudenken.

Problematisch ist zweitens die Tendenz, auf der Suche nach Ansätzen für eine alternative Politik einmal mehr alles das für solche Perspektiven zu vereinnahmen, was auch nur im entferntesten der als Neoliberalismus chiffrierten hegemonialen Tendenz zuwiderläuft. Dies gilt noch in geringerem Maß, wenn Ronaldo Munck der Hoffnung Ausdruck verleiht, Lateinamerika möge nun in ähnlicher Weise eine Vorreiterrolle für die Überwindung des Neoliberalismus übernehmen, wie es durch den Pinochet-Putsch zum Experimentierfeld bei der Einleitung dieser Wende geworden war. Immerhin konzentriert Munck seine Darstellung auf basisorientierte Bewegungen, z.B. die Zapatisten, auf partizipative Budgets in einigen Städten  oder auf zunehmende Bewegungen von Indígenas, die alle traditionellen Politikformen in Frage stellen. Die spannende und problematische Frage, wie diese letzteren derzeit etwa in Bolivien oder Ecuador mit der Auseinandersetzung um die Staatsmacht verknüpft sind, spart Munck aus. Noch stärker kommt der Drang, sich an selbst scheinbare Alternativen zu klammern, zum Ausdruck, wenn Gerard McCann seinen Abschluss-Artikel über neoliberale Strategien mit der Perspektive auf „Alternativen und zunehmenden Widerstand gegen westliche Hegemonie“ ausklingen lässt. Dabei subsumiert er unter die „sozialdemokratische Alternative“ so unterschiedlich orientierte Ansätze wie „Venezuela, Bolivien, Brasilien, Ecuador und Chile“ und verbucht als Quelle „anderen Widerstandes“ ferner „verschiedene islamische Staaten, die festgestellt haben, dass neoliberale Wirtschaftspraxis völlig unvereinbar ist mit den theologischen mores ihrer ökonomischen Tradition“ (288). Auf den Ort dieser Utopie wäre ich neugierig.
Reinhart Kößler

Quelle: Peripherie, 30. Jahrgang, 2010, Heft 120, S. 505-507


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