Luger Pries: Erwerbsregulierung in einer globalisierten Welt. Wiesbaden 2010. 300 S.

Die Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung auf Arbeit, Beschäftigung und Arbeitsregime im nationalen Zusammenhang sind in den letzten beiden Jahrzehnten vielfach, nicht zuletzt auch vergleichend untersucht worden. Weniger Aufmerksamkeit haben die mannigfaltigen Ansätze grenzüberschreitender arbeits- und sozialpolitischer Regulierung gefunden, die der ökonomischen Globalisierung mit substantiellen oder prozeduralen sozialen Standards ein soziales Korsett anzulegen suchen. Das vorliegende Buch liefert einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Formen und Reichweite dieser Ansätze von „sozialer Globalisierung“.

 

Es handelt von der Erwerbsregulierung: den Regeln, Praktiken und Institutionen, durch welche Arbeits-, Beschäftigungs- und Partizipationsbedingungen defi niert und kontrolliert werden; dabei beschränkt es sich auf die abhängige Erwerbsarbeit. Im Mittelpunkt stehen „Phänomene der Erwerbsregulierung, die als transnationale und internationale Strukturen und Prozesse die Grenzen von Nationalstaaten und Nationalgesellschaften überschreiten“ (21).

Ludger Pries liefert eine exemplarische Darstellung und Synopse des in den letzten beiden Jahrzehnten stürmisch expandierten und differenzierten Spektrums internationaler Erwerbsregulierung. Die einzelnen Regelungsmechanismen sieht er als Elemente einer sich herausbildenden Governance-Textur: „als Teilstücke eines emergierenden internationalen Geflechts von harten Regeln und Normensystemen, ‘weichen’ nachhaltigen Legitimationsanforderungen, grenzüberschreitenden Kommunikationskanälen und Interaktionszusammenhängen sowie internationalen Akteursnetzwerken“ (20). Erst diese Sichtweise auf das Gesamte, so seine zentrale These, „ermöglicht ein Verständnis der Wechselwirkungen und Dynamiken, die in der Internationalisierung von Arbeit und Beschäftigung liegen“ (ebd.); durch sie lässt sich das Potenzial internationaler Erwerbsregulierung erschließen.

Das Buch beginnt mit zwei konzeptionell-analytischen Kapiteln zur Erwerbsregulierung und ihren Dimensionen. Sie bilden die Grundlage für die Analyse und den Vergleich nationaler Systeme der Erwerbsregulierung, der in einem weiteren Kapitel am Beispiel von China und Indien vorgenommen wird, wie auch für die Untersuchung internationaler Erwerbsregulierung.

Pries geht von einem institutionalistischen Verständnis der Gestaltung von Erwerbsarbeit aus. Er unterscheidet fünf gesamtgesellschaftliche, die Erwerbsarbeit strukturierende Institutionen (Netzwerk/Familie, Markt, Beruf, Organisation und Öffentliches Regime), die sich auf je spezifi sche Handlungsressourcen, normative Grundlagen und Kommunikationsmedien stützen. In den Nationalgesellschaften sind die Mischungsverhältnisse und der Einfluss dieser Institutionen ganz unterschiedlich ausgeprägt. Die Arrangements der Regulierung abhängiger Erwerbsarbeit lassen sich nach verschiedenen Dimensionen vergleichen, so u.a. nach thematischer und räumlicher Reichweite, nach Regulierungsmodi, Arenen und Akteuren.

Mit diesem analytischen Instrumentarium werden dann die Konfigurationen und die landesspezifischen Besonderheiten der nationalen Systeme von China und Indien, zweier unter diesem Aspekt bislang in Deutschland wenig beachteter Länder, vorgestellt und verglichen. Als mögliche  Entwicklungsperspektive sieht Pries die Erosion der traditionellen Systeme sowie eine Aufspaltung in zwei Pole: einerseits den der privilegiert Beschäftigten, andererseits den „einer großen Masse prekär Beschäftigter, denen häufig sogar die Gewährung er ILO-Mindestnormen verwehrt wird“ (116). Ob es dazu aber tatsächlich kommt, hängt seiner Meinung nicht nur von den internen Dynamiken in den beiden Ländern selbst ab, sondern auch von „der Frage, welche Einflusspotenziale grenzüberschreitende Mechanismen der Erwerbsregulierung“ nehmen können (ebd.).

Diesen Mechanismen und ihrem Zusammenhang ist der ganze Rest des Buchs gewidmet. Pries geht von einer Kritik am „methodologischen Nationalismus“ aus, der die Nationalstaaten als natürlich gegebene und abgegrenzte Einheiten sieht, und postuliert, dass „Verflechtungsstrukturen und Formen von Governance jenseits bzw. über die Grenzen von National staaten hinweg Berücksichtigung fi nden“ (124). Zunächst führt er eine Typologie von Internationalisierungsformen mit je unterschiedlichen Beziehungen von geographisch-physischem „Flächenraum“ und „Sozialraum“ ein, die auch nützliche Unterscheidungen von verschiedenen Mechanismen der internationalen Erwerbsregulierung erlaubt. So differenziert er u.a. zwischen Inter-Nationalisierung, Supra-Nationalisierung, Globalisierung, Transnationalisierung, Diaspora-Internationalisierung, um anschließend die wichtigsten Akteure, ihre Geschichte, Ziele, institutionelle Struktur und Arbeitsweisen vorzustellen. Im Einzelnen behandelt er ILO, Weltbank und Weltwährungsfonds,
WTO und OECD, Internationale Gewerkschaftsverbände, Arbeitgeberverbände und international tätige Unternehmen sowie die seit den 1980er Jahren stark expandierenden internationalen Nichtregierungsorganisationen.

In den folgenden Kapiteln stellt Pries das Spektrum internationaler Erwerbsregulierung vor. Er behandelt, oft exemplarisch, die verschiedenen Typen sowie ihre Geschichte und beurteilt ihre Reichweite und Wirkungskraft; dabei stützt er sich auf einen breiten Fundus neuerer Forschung, nicht zuletzt auch eigener.

Pries behandelt zunächst Regime der Erwerbsregulierung, bei denen supraund internationale Institutionen und staatliche Akteure im Zentrum stehen und eine regionale oder gar globale Reichweite angestrebt wird. Zentrale Bedeutung kommt dem globalen Regime der ILO zu, die ein breites Spektrum globaler Mindeststandards formuliert hat und durchzusetzen sucht; vor allem die mit universellem Geltungsanspruch versehenen Kernarbeitsnormen bilden einen Bezugsrahmen auch für zahlreiche andere Akteure und Regulierungsansätze. Pries zeigt auf, wie inzwischen auch Internationale Finanzorganisationen wie die Weltbank bei der Kreditvergabe diese Standards berücksichtigen.

Als Typen mit regionalem Geltungsanspruch stellt er das Nebenabkommen zur Erwerbsregulierung im NAFTARaum, vor allem aber in einem eigenen Kapitel die als weitestgehend gefestigt und wirkungsmächtig angesehene Regulierung der Europäischen Union und dabei exemplarisch die Euro-Betriebsräte dar.

Die in den folgenden Kapiteln untersuchten Regulierungstypen beziehen sich auf international agierende Unternehmen (und ihre Zulieferer) als wichtigste Adressaten, Unternehmen sowieGewerkschaften und NGOs als die wichtigsten Akteure und setzen auf Selbstverpflichtungen: 1. unilaterale firmen- oder branchenspezifische Verhaltenskodizes oder die Mitgliedschaft im GlobalCompact, bilateral vereinbarte World Company Councils und schließlich die Internationalen Rahmenabkommen zwischen Globalen Gewerkschaftsförderationen und einzelnen international tätigenUnternehmen; 2. Zertifizierung von Unternehmen in Bezug auf die Erfüllung von Selbstverpflichtungen sowie Produktlabels; schließlich 3. öffentliche Kampagnen wie die Clean Clothes Campaign, mit denen Unternehmen zur Beachtung internationaler Mindeststandardsgedrängt werden sollen.

Nach der höchst differenzierten Vorstellung der einzelnen Regulierungstypen, ihrer Geschichte, ihren Stärken und Schwächen kommt Pries zu seiner zentralen These: „Die einzelnen Typen internationaler Erwerbsregulierung entwickeln sich als Teile eines dichter – und damit stärker, aber auch unübersichtlicher – werdenden Geflechts grenzüberschreitender Regulierung von Arbeit, Beschäftigung und Partizipation. Eine komplexe internationale Governance-Textur als Netzwerk von Netzwerken entsteht, in der verschiedene Typen der Erwerbsregulierung und differente Typen der Internationalisierung miteinander verwoben sind. Jede ernsthafte Erörterung der Stärken und Schwächen der Entwicklungspotenziale und der Begrenzungen der einzelnen Regulierungstypen muss diese im Gesamtrahmen der emergierenden Governance-Textur internationaler Erwerbsregulierung analysieren“ (246). Pries stützt seine These durch exemplarische Analysen der Euro-Betriebsräte sowie der OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen, in denen er die zunehmende Verzahnung und wechselseitige Verstärkung verschiedener Regulierungsmechanismen und die Verflechtung und Interaktion verschiedener Internationalisierungsformen aufzeigt.

Im Schlusskapitel sieht Pries – entgegen den skeptischen Betrachtungen vieler Globalisierungskritiker – die Entwicklung der internationalen Erwerbsregulierung als Teil eines Prozesses der sozialen und politischen Globalisierung, welcher die ökonomische Globalisierung institutionell formen, kanalisieren und begrenzen kann. Ob es zu einer weiteren Verdichtung und Integration kommt, hängt aber auch von der Konfl ikt- und Gestaltungsfähigkeit der beteiligten Akteursgruppen ab (265). Abschließend analysiert Pries die institutionellen Defizite und Verwerfungen, die zur gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise beigetragen haben, und kommt zu dem Schluss, dass „das Thema der Erwerbsregulierung in einen erweiterten Rahmen von Regulierung und von institutioneller Strukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt eingebettet werden sollte“ (274).

Insgesamt hat Ludger Pries ein konzeptionell gut begründetes und strukturiertes Buch vorgelegt. Es spannt einen weiten Bogen von theoretischen Grundbestimmungen über exemplarische nationale Regime bis hin zum Spektrum internationaler Erwerbsregulierung. Vor allem gibt es einen lebendigen, gründlichen, auf anschauliche Empirie gestützten, Überblick über die Vielfalt der insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten explosionsartig gewachsenen Ansätze grenzüberschreitender Regulierung und ihre Verfl echtungen. Es beschränkt sich nicht – wie sonst üblich – auf die Beschreibung von Geschichte, Zielen und institutioneller Struktur, sondern analysiert, auf einen reichen Fundus von Forschungsergebnissen gestützt, ihre Praxis und Wirkungsweise – unter diesem Aspekt erfüllt es durchaus Funktionen eines Handbuchs.

Allerdings überzeugt die optimistische Sichtweise des Buchs nicht in jeder Hinsicht. Zwar zeigt Pries am Beispiel der Euro-Betriebsräte wie auch der OECD-Leitlinien die vielfältigen Verknüpfungen von Regelungsansätzen und -aktivitäten auf; man hätte sich aber doch eine ausführlichere Betrachtung und Abschätzung der Wirkungsweise und -reichweite der „emergierenden Governance-Textur“ gewünscht.

Ein großer Teil der vorgestellten Regulierungsansätze und –aktivitäten konzentriert sich auf die doch letztlich kleine Gruppe international tätiger Unternehmen. Es bedürfte tieferer Analyse und natürlich auch weiterer empirischer Forschung, um Wirkungsmacht und vor allem Spill-Over-Kraft der von ihnen getragenen oder vermittelten Formen der „Diaspora-Internationalisierung“ – der Verbreitung von materiellen und prozeduralen Normen von den starken Unternehmenszentralen in den Industrieländern aus in die Töchtergesellschaften und ihre Zulieferunternehmen in Entwicklungsländern – einzuschätzen. Selbst vorausgesetzt, dass verschiedene Typen internationaler Erwerbsregulierung ergänzend und stützend zusammenwirken – können international tätige Konzerne tatsächlich stilbildend für nationale Erwerbsregulierung sein, wenn sie Inseln in einem Meer informeller, vielfach auch selbständiger Erwerbstätigkeit sind? Die Sicht aus Europa, wo Erwerbsarbeit in hohem Maße formalisiert und in dichte nationale wie grenzüberschreitende Regelwerke eingebunden ist, wo ferner ein großer Teil der international tätigen Unternehmen ihren Stammsitz hat und unter Beobachtung und dem Einfluss von Öffentlichkeit, Gewerkschaften und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft steht, könnte ein verzerrtes  Bild der Wirkungsmacht  internationaler Erwerbsregulierung schaffen.

Auch die Annahme, dass die Wirkungsmacht von der Dichte und gegenseitigen Verstärkung der Mechanismen internationaler Arbeitsregulierung abhängt, weckt Zweifel. Sie lässt nämlich offen, wieweit es auch des Zusammenspiels mit nationaler  Erwerbsregulierung, gleichlaufenden Regulierungsansprüchen und -dynamiken bedarf, um internationalen Mechanismen mehr als nur nadelstichartige Einflussräume zu geben. Europa könnte weniger als Modell und Kern einer „emergierenden Governance- Textur“, sondern vielmehr als singuläre Insel gelten, weil hier ein relativ dichtes und hoch institutionalisiertes System super-, inter- und transnationaler Sozialpolitiken durch hochgradig kompatible nationale Institutionen und Politiken der Erwerbsregulierung gestützt wird, die bei aller Verschiedenartigkeit nationaler Institutionen gemeinsame Merkmale eines europäischen Sozialmodells – mit universellen sozialen Rechten und industriellen Bürgerrechten – teilen.

Schließlich wirft Pries am Schluss seines Buches selbst eine Frage auf, die für die Einschätzung der Reichweite und Wirkungsmacht eines Governance-Sytems grenzüberschreitender Erwerbsregulierung von zentraler Bedeutung sein dürfte: ihre Einbettung in einen „erweiterten Rahmen von Regulierung und institutioneller Strukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt“ (274).
Rainer Dombois

Quelle: Peripherie, 31. Jahrgang, 2011, Heft 120, S. 127-132